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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0295
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

7. Vernunft ist das Philosophieren. - Das klingt außerordentlich. Ist Vernunft viel-
leicht eine Imagination wie so manche Träume der Philosophie? Wird hier einem Un-
greifbaren nicht Unmögliches aufgebürdet? Wird nicht nach der Vergegenwärtigung
der Weisen des Umgreifenden in der Immanenz und in der Transzendenz, nach der
Erörterung dessen, was ist und was wir sind, noch einmal ein Schritt getan dorthin,
wo von einem Bande die Rede, aber in der Tat nichts ist? Es scheint uns der Atem aus-
zugehen, wo nicht einmal mehr ein Objekt und ein Subjekt einander gegenüberste-
129 hen. Denn nicht so, wie | das »ich denke« dem Gedachten, wie Dasein der Umwelt, wie
Phantasie der geistigen Gestalt, wie Existenz der Transzendenz gegenüberstand, steht
hier Vernunft einem Vernunftgegenstand gegenüber.
Und hier in der Unfestigkeit soll alles Philosophieren einen festen Punkt haben, wo
doch kein Nagel ist, an den man die Dinge hängen kann, wo nur Bewegung ist und
kein Substrat, wo unfaßlich ist, was alles fassen soll?
In der Tat: Hier in diesem Umgreifenden liegt der Raum der Bewegung, in die zu ge-
langen Aufgabe des Philosophierens ist. Aber es kann sich hier im luftleeren Raum
nicht erfüllen, sondern tritt ein in alle Weisen des Umgreifenden, deren Gehalte erst
klar und rein werden, indem sie nach allen Seiten das Band suchen, an dem sie zum
Einen gelangen.
d. Charakteristik dieser Vergewisserung
1. Selbstvergewisserung des Erscheinens. - Diese Selbstvergewisserung ist weder idealis-
tisch noch realistisch, weder metaphysisch noch ontologisch. Sie besagt nichts über
das, was man wohl wissen möchte: ob und was Gott sei, was der Grund der Welt, was
das Grundgeschehen und was das ewige Sein sei.
Sie ist nur der Versuch des Vergewisserns dessen, wie und worin wir uns finden. Sie
zeigt die Weisen des Erscheinens für uns und unserer selbst. Alles, was ist, muß dorthin
gelangen, wenn es für uns sein soll. Es muß darin gegenwärtig werden.
Hobbes schreibt? »Von allen Erscheinungen, die uns vertraut sind, ist das Erschei-
nen selbst, das phainesthai, das Wunderbarste, nämlich daß von den Körpern in der
Natur einige (die Menschen) Bilder von fast allen Dingen, andere dagegen keine da-
von besitzen«127 (für Hobbes zwar liegt das Erscheinen nur in den Sinneswahrnehmun-
gen; daher schreibt er nicht nur Menschen, sondern auch Tieren dieses Erfahren der
Erscheinung zu; dies aber ist eine offensichtliche Beschränkung des Erscheinens). Das
Erscheinen nennt Hobbes, der solche Ausdrücke selten gebraucht, »wunderbar«. Es ist
das, wovon wir stets ausgehen und wohin wir zurückkehren. Diese Gegenwärtigkeit
des Erscheinens ist aus nichts anderem zu begreifen.

De corpore, Kap. 25.
 
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