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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
Vorher waren die Inhalte der Chiffern selber die letzte Instanz, jetzt bedürfen sie
einer Instanz über ihnen, die entscheidet, ob Wahrheit in diesem Augenblick und in
diesen Grenzen durch sie spricht. Die Instanz ist das Philosophieren und die Le-
benspraxis der Existenz.
(4) Wir können heute alle historisch aufgetretenen Chiffern kennen, während frü-
her die Völker, in begrenzten Chiffernkreisen eingeschlossen, die der anderen nicht
kannten. Wir gehören heute keiner der Chiffernwelten, uns ihnen unterwerfend, an.
Sind wir aber damit nicht von allen Chiffern verlassen? Wir kennen sie als Gegen-
stände unseres unverbindlichen ästhetischen Genusses, oder als Gegenstände unserer
historischen Neugier und Wissenslust, oder als Gegenstände einer Psychologie, die die
Herrlichkeiten dieser Überlieferung in ihre banalen Kategorien schüttet, um sie als
Reizmittel zu brauchen.
Aber was heißt kennen? Wir kennen die Chiffern in Sammlung und Ordnung der
Mythologien und Offenbarungen. Aber dies äußere Kennen wird innerlich, wenn wir
in der eigenen Existenz von ihnen betroffen werden. Im ersten Fall haben wir sie wie
ein endloses Material zur Verfügung, im zweiten Fall sondern sie sich nach Tiefe, Rang
und Weise der Deutbarkeit.
Die geschichtlichen Chiffern sprechen zu uns heute unter der Voraussetzung, daß
wir sie, indem wir sie in den uns zugänglichen Tiefen erfassen, in der Schwebe halten,
ihren Inhalt weder als Realität noch als zwingendes Wissen behandeln. Dann erhel-
len sie unseren Raum und lassen im entscheidenden Augenblick ihre Leuchtkraft als
Sprache der Transzendenz strahlen.
155 Das Ungenügen aller Chiffern aber zeigt sich darin, daß ich mich | an sie nur wie
an Bilder oder an Leitfäden im existentiellen Augenblick halten kann, nicht an sie als
eine Realität, die als solche mich sichert. Denn ich bleibe immer angewiesen darauf,
daß ich mir geschenkt werde aus anderem Ursprung: im Liebenkönnen, in der Ver-
nunft, in einem unbegründbaren Vertrauen.
(5) Es kommt auf Wahrhaftigkeit an, um die Chiffern rein zu eigen zu gewinnen.
Dann verwechseln wir sie nicht mit leibhaftigen Realitäten und nicht mit Verkehrun-
gen des spekulativen Gedankens zur Erkenntnis von Gegenständen.
Sind wir in die Schwebe der Chiffern gelangt, so bewegen wir uns - in Überwin-
dung der ästhetisch genießenden und neugierig historischen Haltung - in den uns an-
sprechenden, aber doch immer noch unverbindlichen Möglichkeiten. In dem Maße
als die Verbindlichkeit für Existenz wächst, wird es mit den Chiffern ernst. Wir erfah-
ren den unendlichen existentiell wirksamen Reichtum der Chiffernwelt, die gegen-
wärtig ist in der großen Dichtung, Kunst, spekulativen Philosophie, in den Mythen
und Offenbarungen.
Hier erfahren wir die Freiheit des Geistes, der die Macht ist, zur Sprache zu bringen.
Wir erfahren aber auch die Zweideutigkeit dieser geistigen Schöpfung. Wie die Tech-
nik des Verstandes, so kann das Hervorbringen des Geistes zum Guten und zum Bösen
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
Vorher waren die Inhalte der Chiffern selber die letzte Instanz, jetzt bedürfen sie
einer Instanz über ihnen, die entscheidet, ob Wahrheit in diesem Augenblick und in
diesen Grenzen durch sie spricht. Die Instanz ist das Philosophieren und die Le-
benspraxis der Existenz.
(4) Wir können heute alle historisch aufgetretenen Chiffern kennen, während frü-
her die Völker, in begrenzten Chiffernkreisen eingeschlossen, die der anderen nicht
kannten. Wir gehören heute keiner der Chiffernwelten, uns ihnen unterwerfend, an.
Sind wir aber damit nicht von allen Chiffern verlassen? Wir kennen sie als Gegen-
stände unseres unverbindlichen ästhetischen Genusses, oder als Gegenstände unserer
historischen Neugier und Wissenslust, oder als Gegenstände einer Psychologie, die die
Herrlichkeiten dieser Überlieferung in ihre banalen Kategorien schüttet, um sie als
Reizmittel zu brauchen.
Aber was heißt kennen? Wir kennen die Chiffern in Sammlung und Ordnung der
Mythologien und Offenbarungen. Aber dies äußere Kennen wird innerlich, wenn wir
in der eigenen Existenz von ihnen betroffen werden. Im ersten Fall haben wir sie wie
ein endloses Material zur Verfügung, im zweiten Fall sondern sie sich nach Tiefe, Rang
und Weise der Deutbarkeit.
Die geschichtlichen Chiffern sprechen zu uns heute unter der Voraussetzung, daß
wir sie, indem wir sie in den uns zugänglichen Tiefen erfassen, in der Schwebe halten,
ihren Inhalt weder als Realität noch als zwingendes Wissen behandeln. Dann erhel-
len sie unseren Raum und lassen im entscheidenden Augenblick ihre Leuchtkraft als
Sprache der Transzendenz strahlen.
155 Das Ungenügen aller Chiffern aber zeigt sich darin, daß ich mich | an sie nur wie
an Bilder oder an Leitfäden im existentiellen Augenblick halten kann, nicht an sie als
eine Realität, die als solche mich sichert. Denn ich bleibe immer angewiesen darauf,
daß ich mir geschenkt werde aus anderem Ursprung: im Liebenkönnen, in der Ver-
nunft, in einem unbegründbaren Vertrauen.
(5) Es kommt auf Wahrhaftigkeit an, um die Chiffern rein zu eigen zu gewinnen.
Dann verwechseln wir sie nicht mit leibhaftigen Realitäten und nicht mit Verkehrun-
gen des spekulativen Gedankens zur Erkenntnis von Gegenständen.
Sind wir in die Schwebe der Chiffern gelangt, so bewegen wir uns - in Überwin-
dung der ästhetisch genießenden und neugierig historischen Haltung - in den uns an-
sprechenden, aber doch immer noch unverbindlichen Möglichkeiten. In dem Maße
als die Verbindlichkeit für Existenz wächst, wird es mit den Chiffern ernst. Wir erfah-
ren den unendlichen existentiell wirksamen Reichtum der Chiffernwelt, die gegen-
wärtig ist in der großen Dichtung, Kunst, spekulativen Philosophie, in den Mythen
und Offenbarungen.
Hier erfahren wir die Freiheit des Geistes, der die Macht ist, zur Sprache zu bringen.
Wir erfahren aber auch die Zweideutigkeit dieser geistigen Schöpfung. Wie die Tech-
nik des Verstandes, so kann das Hervorbringen des Geistes zum Guten und zum Bösen