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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0316
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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gebraucht werden. Chiffern können existentiell zum Aufschwung bringen oder den
Trotz der Transzendenzlosigkeit aussprechen oder luziferisch zum Absturz in das Nich-
tige verführen.
Vom frühesten Denken an lebt der Mensch auch schon in Chiffern. Erst wenn seine
Welt und sein Wissen in Unterscheidungen hell wird, erfährt er die Aufgabe, dieses
Reich der Sprache rein werden zu lassen. Er will Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Daher
will er den Unterschied von Realität und Chiffern in Strenge festhalten. Nun scheint
als Grundverkehrung die Verwandlung der schwebenden Sprache der Chiffern in die
Leibhaftigkeit von Realität. Chiffern sind nie die Wirklichkeit der Transzendenz sel-
ber, sondern deren mögliche Sprache. Der Glaube will Reinheit. Er will nicht durch
Verwechslungen getrübt werden.
(6) Wir wollen in diesem vierten Teil vom Wesen der Chiffern und dem Sinn ihrer
Interpretation sprechen. Der Gehalt einzelner Chiffern ist Thema des fünften Teils.

11. Existenz und Transzendenz haben keine ihnen eigentümlich 156
zugehörende Erscheinung
(1) Wenn die Erscheinung sich gliedert nach den Weisen des Umgreifenden, dann ist
für unser Wahrheitsbewußtsein ihre Trennung und Verbindung gleicherweise notwen-
dig. Wesentlich ist dieses: Existenz kommt nur in Erscheinungen der Immanenz sich
zum Bewußtsein, Transzendenz selber aber erscheint nicht. An die Stelle ihrer Erschei-
nung tritt die Sprache der Chiffern.
Wenn der Mensch als mögliche Existenz denkend auf Transzendenz gerichtet ist,
so geschieht dies wieder notwendig in Erscheinungen, nämlich in einem Vorstellen
und Denken von Gegenständlichkeiten im Medium der Subjekt-Objekt-Spaltung des
Bewußtseins überhaupt. Ohne diese werden wir bewußtlos und denken nicht mehr.
Die Gegenständlichkeiten, in denen wir das Ungegenständliche von Existenz und
Transzendenz denken, nennen wir Signa der Existenz und Chiffern der Transzendenz.
Ich unterscheide also Phänomene der Realität, Signa der Existenz, Chiffern der Tran-
szendenz:
Erstens: So unterschiedliche Phänomene der Realität, wie etwa die in Natur, Seelen-
leben, Gesellschaft, Geschichte, sind allgemeingültig zu beschreiben. Voraussetzung
ist eine unpersönliche Verstehensfähigkeit in der sinnlichen Wahrnehmungsfähig-
keit. Jeder, dem gezeigt wird, überzeugt sich, weil er wie jeder andere sieht. Er kann
subjektive Abweichungen als solche erkennen und korrigieren.
Zweitens: Ein Signum der Existenz ist Freiheit. Wo Freiheit ist, endet das zwingende
Aufzeigen. Denn in diesem nur analogisch so zu nennenden »Aufzeigen« der Freiheit
ist Existenz selbst beteiligt. Was gezeigt wird, ist zugleich Betroffenheit für Existenz.
Ich erkenne in solchem Aufzeigen durch Signa wieder, was ich, wenn ich ich selbst
oder nicht ich selbst bin, positiv und negativ erfahre. Das »Sehen« ist hier die Antwort,
 
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