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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0319
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

einer Entscheidung auch in bezug auf den Gehalt der Chiffernwelt selber. Was einst
im Kampf des prophetischen Gottesgedankens gegen die Naturkulte, im Kampfe
Jahwes gegen Baal eine historische Erscheinung hatte, kehrt immer wieder. In der Spra-
che der Chiffern findet ein Kampf des Glaubens statt, nicht etwa ein Kampf von Glau-
bensbekenntnissen, sondern von Lebensverwirklichungen, ein Kampf, der nicht nur
zwischen Glaubensgemeinschaften, sondern in jeder einzelnen Existenz geführt wird
und lange unentschieden bleiben kann. Die eine Transzendenz und die dämonischen
Mächte, der Zug zur Transzendenz hin und von ihr fort, sind kein Problem rationaler,
sondern existentieller Entscheidung, und zwar nicht einer allgemeingültig formulier-
ten, sondern der jeweils konkreten. Für diese können folgende Erörterungen eine Vor-
bereitung sein.
Von mystischen Erleuchtungen ist hier noch nicht die Rede, sondern von dem »Er-
leben« dessen, was als Grund der »Natur« uns übergreift. Ein in sich hineinziehendes
Dunkel wird erfahren, als ob es das Eigentliche wäre.
Dieses ist nicht das Dunkel, in das die Naturforschung objektivierend zu erforsch-
baren Gegenständen eindringt, ins Unendliche hinein, nach jeder Klärung eines Dun-
kels vor neuen Dunkelheiten stehend. Es ist vielmehr das Umgreifende des Daseins,
das wir sind. Es wird uns auf eine grundsätzlich andere Weise hell, indem wir uns
hineinstürzen. Dann ist die Natur selber als wir selber da, nicht als objektivierbare
Naturrealität.
Wir erforschen unsere Natur biologisch und psychologisch. Biologisch etwa ist real das Ge-
schlecht, dann das, was sich als Rasse bis heute der klaren Bestimmung entzieht. Psychologisch
wird etwa gesprochen von den Antrieben zum Leben und zum Sterben, zum Vernichten und
160 zum Ver|nichtetwerden, zum Quälen und zum Gequältwerden, kurz vom Lebensjubel und vom
Todesdrang. Als biologische und psychologische sind diese Tatbestände Erscheinungen. Soweit
ich sie erkenne, kann ich sie in die Beherrschbarkeit und Machbarkeit hineinziehen. Man kann
denken, mit Hilfe der Wissenschaft auf technischem Wege Geschlecht und Rasse zu züchten,
den Menschen wie alles Lebendige und alles Leblose zu verwandeln für gesetzte Zwecke. Aber
wer ist der Mensch, der den Menschen verwandelt? Wer ist der Macher, der auf dem Wege der
Forschung das macht, was er selber ist und sein kann? Die Vorstellungen vom Roboter bemäch-
tigen sich heute der Meinungen, die dazu führen, daß der so denkende Mensch zum Ergebnis
kommt, es sei ja doch alles nichts, weil es sich durch Apparate, Stoffe, Operationen, Spritzen
herstellen lasse oder einst herstellen lassen werde.
Hier wird verwechselt. Denn die Erscheinung, die für die Forschung da ist und die wir Reali-
tät nennen, ist nicht die Wirklichkeit, die wir selbst sind. Wir tragen in uns einen technischen
Verstand, der außerordentliches vermag in bezug auf alle Erscheinungen, die einem jeweils be-
stimmbaren Forschungsfeld in dessen Bereich zugänglich sind. Dazu gehören auch die biologi-
schen und psychologischen Erscheinungen unseres Daseins. Aber weder sind wir selbst mit die-
sem Erkennen, Können und Machen erschöpft, noch sind die Erscheinungen selber erschöpft
mit den im Sinne von Technik (der Biotechnik, Psychotechnik) manipulierbaren Erscheinun-
gen. Da aber der moderne öffentlich gemeinsame Verstand vor der Wirklichkeit der Existenz
und Transzendenz wie hermetisch verschlossen zu sein scheint, und, solange wir nur ihm fol-
 
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