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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0321
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

Was ich vom Durchbruch durch die Erscheinungen in das Dunkel der umgreifenden
Natur unseres Daseins schrieb, ist nicht nur selber dunkel. Es führt als rationale Spra-
che so lange in die Irre, als es nicht, im Gegensatz zur fortschreitenden Erkenntnis der
Natur, in großen schwebenden Chiffern vieldeutig hörbar wird. Denn was immer hier
im Überschreiten der Erscheinungen erfahren werden mag, wird uns mitteilbar nur
wieder in Chiffern aus dieser Erscheinungswelt selber, in der davon, daraus, darüber,
daraufhin gesprochen wird.
Ich fasse zusammen: Die Frage ist, ob die gesamte Erfahrung unseres Naturseins
aufgenommen werden kann in die Erforschbarkeit, oder ob in ihr etwas bezwingt, das
überwältigend da sein kann, aber als erforschbar verloren wäre. Der empirischen For-
schung sind keine Grenzen gesetzt. Aber die Erfahrung unseres Naturseins geht ihr
vorher, übergreift sie, geht nie in ihr auf, wird nicht ihr Gegenstand.
162 | Das Entscheidende ist, wovon wir ausgingen: Nur die Freiheit bezieht sich auf
Transzendenz. Auch dieses Erfahren unseres Naturseins im Überschreiten der Erschei-
nungswelt ist nur dann nicht bloß freiheitsfremde, sich selber täuschende Realität ei-
nes Verfallenseins an Natur, sondern Wirklichkeit und Wahrheit, wenn das so Erfah-
rene aus unserer Freiheit ergriffen, dadurch mit uns identisch werden kann.
Es sind leibhaftige Erfahrungen, die erst, wenn sie durch Freiheit Chiffern werden,
ihre lastende Wucht verloren haben, ihrer Zugkraft in das absolute Dunkel beraubt
sind, durch die Helle der Vernunft in das Gesetz des Tages hineingenommen werden.
(4) Im Raum solcher Erörterungen werden Signa und Chiffern zweideutig. Erschei-
nung hat zweifache Bedeutung: das Gegenstandsein für unser Wissen und das Gegen-
wärtigsein ohne Gegenstand. Da das die Erscheinung (als Wißbarkeit) Durchbre-
chende doch selber Erscheinung (als Gegenwärtigkeit des Erlebens) sein muß, wird die
Frage, ob diese Erscheinung nicht wie alle Erscheinungen beschreibbar und erforsch-
bar sei, durch den Hinweis auf diese zweifache Bedeutung des Wortes »Erscheinung«
zu beantworten sein.
Auch die Freiheit hat diese Zweideutigkeit: sie ist Gegenstand, sofern sie psycholo-
gisch als Willkür, soziologisch als politische Freiheit, psychopathologisch als Berau-
bung der freien Willensbestimmung gegenständlich wird; sie ist kein Gegenstand in
der Welt, auch nicht für die Psychologie, wenn sie als eigentliche, als existentielle Frei-
heit unbestimmbar gemeint wird.
Aber beide, sowohl Freiheit wie jenes von Freiheit ergriffene Durchbrechen der Er-
scheinung, treten durch Realitäten, die nicht nur diese sind, durch Mitteilbarkeit in
die Erscheinung.
(5) Wenn Existenz und Transzendenz keine ihnen eigentümlich zugehörende Er-
scheinung haben, so sind sie doch nur durch Erscheinungen für uns wirklich. Was
nicht durch Erscheinung in der Welt zur Mitteilbarkeit gebracht wird, das ist für an-
dere, als ob es nicht wäre. Wenn es in der Verschlossenheit des Einzelnen das ihm al-
lein Wesentliche sein könnte, so ist die Frage, ob das in Wirklichkeit und Wahrheit
 
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