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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0333
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232

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

wurde.146 Zur gleichen Auffassung kommt, ohne Glauben, der forschende Theologe Overbeck:
»Nur ein Wahn kann das Christentum mit Jesus als historischer Person beginnen lassen.«147
Wenn es aber belanglos ist, ob Jesus die Einsetzung vollzogen hat, es vielmehr als »Tatsache«
gilt, was von Aposteln verstanden und bezeugt ist, in bezug nicht auf Jesus, sondern auf Chris-
tus (schon der Apostel Paulus hat nicht Jesus selbst gesehen, sondern nur den auf dem Wege vor
Damaskus ihm erscheinenden Christus),148 warum hat dann dieser Bezeugungsprozeß eine Zeit-
dauer gehabt und ein Ende? Warum kann sich solche Weise des Zeugnisses nicht fortsetzen,
können nicht z.B. weitere Sakramente als eingesetzt bezeugt werden? Doch offensichtlich durch
Urteil einer Instanz in der Welt, die jene ersten Zeugnisse anerkennt, den Zeugnisprozeß aber
für abgeschlossen, den Kanon als fixiert erklärt?
Es kommt dem Theologen auf die qualitative Heraushebung an. Diese Zeichen oder Chiffern
sind andere Chiffern, diese Worte andere Worte, diese Schriften andere Schriften als Chiffern,
Worte, Schriften sonst. Nur in ihnen ist die Realität Gottes, alles andere ist Menschenwerk oder
natürliches Geschehen.
Dies aber bedeutet: Gott ist nicht mehr verborgen. Ich habe nicht nur Bild und Gleichnis von
ihm (was doch schon der biblische Gott untersagt), sondern ihn selber. Der Offenbarungsglaube
ist in der Tat nicht mehr der Glaube an den verborgenen Gott. Von ihm weiß ich im biblischen
und philosophischen Glauben mich mir geschenkt, aber unmittelbar, nicht durch irgendeine
Vermittlung, die als Vermittlung selber schon Gott sein soll.
Hier gelten nicht freie, schwebende Chiffern, sondern Gehorsam. »Wir haben uns, die Kir-
che hat sich an die ihr anbefohlenen Zeichen zu halten.«1149

177 | (4) Kultus, Sakrament, Kirche:
Nicht durch irgendein Denken vermag man der Realität näher zu kommen, die in der Leibhaf-
tigkeit Gottes vom Gläubigen erfahren wird. Karl Barth erinnert“150 daran, daß noch im 5. Jahr-
hundert die Belehrung über die Sakramente erst nach ihrem Empfang stattfand (man könnte
an die griechischen Mysterien denken, die nach Aristoteles nicht Lehre bringen, sondern Hand-
lung zeigen, nicht Legomena, sondern Dromena sind).151 Verrat wäre es gewesen, sagt Ambro-
sius, schon vorher darüber zu belehren.152 Der Ahnungslose wird besser erleuchtet, als wenn ihm
eine Rede darüber vorausgegangen wäre. »Die menschliche Rede hat zu schweigen, damit vor-
erst etwas geschehe.«153
Die Realität ist in der Welt der Kultus und die Kirche. Offenbarung und Wort Gottes sind nicht
privat zu empfangen. Die Realität gewinnen sie erst durch die Gegenwart des Heiligen in einer
Institution.
So ist das Wort erst durch die Vollmacht zur Verkündigung »Gottes Wort«, ist das Sakrament
erst durch den kirchlichen Akt (unter Wiederholung der biblischen Einsetzungsworte) die Rea-
lität, welche allerdings vollendet wird durch die jeweils neue, vom Hörer des Wortes oder dem
Empfänger des Sakraments erfahrene, gegenwärtig darin sich kundgebende Offenbarung Got-
tes. Aber wehe dem, der dabei ist und diese Erfahrung nicht macht! Die Wahrheit des Sakra-
ments »ist wie die Wahrheit des Predigtwortes jeden Augenblick und jedem Einzelnen gegen-
über von Gott selbst abhängig. Gottes einsetzende Kraft kann dem Einzelnen zum Gericht

i Karl Barth, 1. c. S. 448.
ii 1. C. S. 426.
 
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