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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0335
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

Wieder komme ich in der Folge solcher Sätze von einem Staunen ins andere, ohne im Verste-
hen einen Schritt voranzugelangen. Und ich werde belehrt durch die allgemeinen Sätze von
Verstocktheit, Beiseitegestelltsein, Gericht.
Was mir in eigener Erfahrung und Beobachtung als Kultus und Verkündigung begegnet ist,
sehe ich ganz anders. Das Entscheidende schien mir, ob der Kultus in Handlung, Gebet, Medi-
tation selber als Chiffer vollzogen wird, oder ob er als Realität des gegenwärtigen Gottes gilt.
Gilt der Kultus als Chiffer, so schien mir die Feierlichkeit, der Ernst, das Gewicht, aber in schwe-
179 bender Freiheit, doch in ganzer Kraft möglich. Gilt das Erfahrene | aber als Realität Gottes, so
schien mir Magie vorzuliegen, das heißt eine Kausalität ohne Kausalität, eine Realität ohne Rea-
lität. Diese ist zwar bezwingend eindrucksvoll für den in Gehorsam Glaubenden, aber in der
Welt ohne andere Folgen als die in der Seele des Glaubenden, der nun, ob er schwebende Chif-
fern oder magische Realität erfahren hat, anders lebt und handelt und denkt und dadurch in
der Welt bezeugt, was jene Erfahrung bedeutet.

5. Chiffer und Dialektik
(1) Zunächst eine kurze Bemerkung über Dialektik überhaupt:161
Wo immer ein Widerspruch für das Denken auftritt, soll er aufgehoben werden.
Das Denken erträgt ihn nicht. Wo er nicht in einer Alternative zugunsten der einen
Seite, der richtigen gegen die falsche aufgehoben werden kann, da wird er in einer Be-
wegung ergriffen, die dialektisch heißt. Diese will ihn zugleich bewahren und über-
winden: entweder durch eine Synthesis des Widersprechenden, um dessen »Versöh-
nung« zu finden, oder durch Aufreißen und Steigerung des Widerspruchs über die
Paradoxie in die Absurdität, um gerade mit dieser die Wahrheit und Wirklichkeit zu
treffen.
Alles Denken, ob philosophisch oder theologisch, tritt von Anfang an in die Dia-
lektik, auch ohne es methodologisch zu wissen. Dialektisches Denken aber kann nicht
nur tiefe Einsicht hervorbringen, sondern ungemein leicht zu einer spezifischen So-
phistik werden.
Dialektik als Methode der Behandlung bestehender Widersprüche, nämlich diese
nicht dadurch zu lösen, daß die eine Seite der Alternative für wahr, die andere für falsch
erkannt wird, sondern dadurch, daß beide Gegensätze bewahrt werden, ist ein bis
heute noch nicht übersehbares Reich von Formen der Gedankenbewegung. Es ist noch
immer die große, ungelöste Aufgabe, die Ursprünge der dialektischen Gebilde und da-
mit die Art ihrer Evidenz in ihrer Mannigfaltigkeit zu zeigen, damit ihren jeweiligen
Sinn zu begrenzen und ihre Anwendung sauber zu gestalten. Die Erhellung der Wei-
sen und der Gebiete der Dialektik, bei Hegel am reichsten entwickelt, ist auch bei ihm
gerade nicht methodisch geklärt, sondern in der ganzen Vielfachheit von tiefen Bewe-
gungen bis zu lächerlichen Tricks vollzogen.162 Marx und Kierkegaard haben aus dem
Hegelschen Denken sich genährt, mit ihm sich geschult. Aber beide haben etwas an-
deres daraus gemacht, beide ergiebig und erstaunlich und hinreißend.
 
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