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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0336
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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| Heute ist die Dialektik im Marxismus und in der Theologie am Werke als ein Zau- 180
berschlüssel. Sie wird wie etwas methodisch Absolutes, nicht mehr zu Überschreiten-
des behandelt. Es ist, als ob denkende Menschen heute sich ihrer nicht erwehren, weil
sie die Methode nicht methodisch durchleuchten können. Sie wird als etwas Selbst-
verständliches, Bekanntes vorausgesetzt.
Aber in jedem einzelnen Falle ist die Frage: In welchem bestimmten und begrenz-
ten Sinn ist hier eine Weise der Evidenz gegenwärtig? Ist etwa die dialektische Rede-
weise ein Mittel, Widersprüche als unwesentlich zuzulassen, sich ihnen zu entziehen,
um in der Tat etwas ganz Undialektisches, eine unhaltbare Eeibhaftigkeit des Soseins
Gottes zu schützen, oder um eine für den Augenblick erwünschte eindeutige Forde-
rung, sie als Moment der Bewegung zur Vollendung hin deutend, mit scheinbarem
Tiefsinn zu verschleiern? Denn mit dieser Dialektik läßt sich der das Denken preisge-
bende Gehorsam gegen einen Gott fordern, der doch als geglaubter für die Mensch-
heit insgesamt nur als eine Erscheinung unter anderen auftritt. Und mit der Dialektik
läßt sich die brutale, je nach Situation wechselnde Parteilinie rechtfertigen, wenn man
die Dialektik als Realdialektik des Geschehens, als die Notwendigkeit auffaßt, die als
die einzige allbeherrschende Kausalität, als Monokausalität, die Freiheit des Menschen
in die Unterwerfung unter das Diktat der von der Parteiinstanz erkannten Notwendig-
keit verkehrt.
(2) Die Dialektik scheint der Schwierigkeit des Offenbarungsglaubens Herr zu wer-
den. Der Widerspruch, daß die Offenbarungsrealität da ist und nicht da ist, behaup-
tet und verleugnet wird, gilt als notwendig für die Göttlichkeit der Offenbarung. Man
spricht vom verbergenden Offenbaren, vom verhüllenden Enthüllen. Die Theologie
ist voll solcher Wendungen wie simul justus, simul peccator;163 freiwillig gehorsam.
Der moderne Theologe schreibt: »Mysterium (in der altkirchlichen Sprache von den Sakramen-
ten gesagt) ist der paradoxe Begriff der verborgenen und gerade so offenbaren Wahrheit... der
schlechterdings nur für sich selbst redenden Wahrheit... Nur ihre Offenbarung in der Verbor-
genheit, in indirekter Mitteilung, in der Verhüllung, ihre Offenbarung für den Glauben, ist ihre
Offenbarung. Das Wort Gottes im Zeichen kann keine andere Enthüllung Gottes bedeuten als
eine solche, die auch und gerade seine Verhüllung ist... Das große christliche Mysterium oder
Sakrament ist die Fleischwerdung des Wortes in Jesus Christus«.1164
| Damit ist entschieden die ursprüngliche, vor allem Denken liegende, ohne Denken zu er- 181
fahrende Realität bezeichnet. An dieser Stelle liegt »der archimedische Punkt, wo Gott mir of-
fenbar wird, und von wo aus ich es im Gehorsam wagen muß, mich selbst als begnadet zu ver-
stehen«, und dieser Punkt »muß grundsätzlich Zeichen sein«, wie hier im Sakrament so sonst
im Wort.165

Karl Barth, 1. c. S. 439.
 
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