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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0350
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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heit in Chiffern, die als solche wirksam waren, wenn sie in den Leibhaftigkeiten
eingekleidet blieben.
Falsch wäre es nun, den Vorwurf des Atheismus, des Nihilismus und wie sonst die
Kategorien lauten, mit denen kirchlich-theologischer Glaube uns benennt, zurückzu-
schleudern mit der These, durch den Offenbarungsglauben, den ich für mich verwerfe,
und der mir wie eine Verletzung der Gottheit erscheint, werde Gott selber verletzt. Gott
ist nicht anzutasten und nicht zu verletzen. Nur in dem mir möglichen Bezug auf Tran-
szendenz würde ich vor dieser schuldig, wenn ich dem mir nicht verständlich werden-
den Offenbarungsglauben folgte.
(2) Der zweite Kampf geht in Chiffern gegen Chiffern. Dieser Kampf wird in Klar-
heit erst dann geführt und wird um so wahrer, wenn der erste Kampf um die Reinheit
der Chiffernwelt gewonnen ist. Es gibt den Kampf um die Gehalte, die auch in der Form
der Offenbarung sprechen. Die Chiffern bleiben, entkleidet ihrer Leibhaftigkeit, von
mächtiger Gewalt. Wo immer mit ihnen echt gesprochen wird, da ziehen sie an. Denn
sie zeigen und erhellen zugleich das unergründliche Geheimnis.
Der Kampf im Reich der Chiffern beginnt, wenn sie in existentielller Ergriffenheit
gehört werden. Dann sind sie nicht nur vieldeutig. Sie entsprechen ursprungsverschie-
denen existentiellen Möglichkeiten. Sie stehen in wechselnden Rangordnungen der
Nähe und Ferne zur Transzendenz. Manche leuchten auf unserem Lebensweg, andere
werden als fremde, dunkle, verführende Sprache verworfen. Chiffern, die für den ei-
nen hinreißend sind, wirken auf den anderen abstoßend, wieder andere bleiben gleich-
gültig. Sie werden verstanden oder nicht gehört. Sie sprechen schon in unserer medi-
tativen Besinnung, aber eigentlich erst im wirklichen Augenblick. Allen Chiffern
gegenüber, die nicht in der völligen Unverbindlichkeit bloß zur Kenntnis genommen
werden, findet Aneignung und Abwehr statt: der Kampf im Reich der Chiffern.
Der Kampf geht im existentiellen Dabeisein um Wahrheit und Unwahrheit in ein-
zelnen Chiffern, um ihr Gewicht, um ihre Nähe zum Grunde der Transzendenz. Er ge-
schieht auch auf den Wegen des Deutens und Umdeutens in diesem Reich der Spra-
che, die sich im Raum der uns bestimmenden Mächte bewegt.
(3) Die stillen Kämpfe in den Seelen, nicht ausgesprochen, vielleicht sich selber un-
bewußt, erfolgen in der Weise des Lebens mit den Chiffern, die überall an uns heran-
treten. Sie werden flüchtig erfahren oder tief eingeprägt oder beiseite geschoben.
Wesentlich ist der Kampf um die Aneignung dessen, was in der Erscheinung einer
großen besonderen Chiffernwelt alle Chiffern durchdringt und führt. Von dieser Mitte
her wird die Haltung zu allen Chiffern und der Umgang mit ihnen bestimmt. Es ist
nicht möglich, etwa die Welten der griechischen Tragiker, Dantes, Calderons, Shake-
speares gleicherweise aufzunehmen. Das kann, legitim an allen gleich unbeteiligt, die
reine Literaturwissenschaft. Das kann, illegitim unverbindlich, die ästhetische Lebens-
verfassung. Wo es aber der möglichen Existenz ernst ist, da mag der Mensch wohl zu
allen irgendeine Beziehung gewinnen, kann er sich überall durch sie auf eine Weise

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