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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0353
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252

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

Der Kampf geschieht so, daß wir selbst, je diese Existenz, die Chiffern wählen, auf die
wir hören, daß wir uns in dieser Wahl behaupten, daß wir an besondere Chiffern als
absolute verfallen oder daß wir uns in ihnen frei bewegen. Dieser Kampf ist eine Bewe-
gung der sich zu sich selbst bringenden oder zu sich vorangetriebenen Existenz.
(3) Beispiele für Objektivierungen der Mächte: Von jeher ist im Polytheismus eine Ob-
jektivierung des Kampfes der Mächte vollzogen, unreflektiert, aber in der Anschauung
großartig gegenwärtig. Die Griechen wußten, und wir meinen noch mit ihnen zu wis-
sen, was es heißt, dem Apollo, dem Hermes, dem Dionysos, der Aphrodite, der eros-
feindlichen Artemis, der die Ehe schützenden Hera zu dienen und der Athene, dieser
übergeschlechtlichen Göttin, nicht geboren, sondern dem Haupt des Zeus entsprun-
gen, der weisen und kämpfenden, der vernünftigen, dieser vielleicht ergreifendsten,
mit keiner anderen Göttin in aller Welt vergleichbaren, einzig griechischen Gestalt des
Polytheismus. Sie spricht den unbefangenen, reinen Adel im Menschen natürlich und
ohne Maßlosigkeit an. Es sind unvereinbare Dienste, aber sie öffnen alle menschlichen
Möglichkeiten und geben ihnen ihre Rechtfertigung. Die Götter haben verschiedene
Herrschaftsgebiete, sie stellen sich gegenseitig ausschließende Forderungen, gehen
nebeneinander her oder stehen im Kampf miteinander. Der Mensch, der dem einen
dient, kann den andern beleidigen. Die Griechen haben, was ihnen aus den Mächten
zur Gestalt wurde, ohne gedankliche Logik zur wundersamsten Klarheit gebracht und
in persönlichen Göttern geheiligt.
Der Polytheismus enthält eine bleibende Wahrheit, der sich auch die monotheis-
tischen Kirchen in ihrer Praxis nicht haben entziehen können. Diese Wahrheit hält
heute noch an, ohne den Namen des Polytheismus zu tragen.
Ganz anders sehen moderne Bemühungen aus, ohne Bezug auf Mythen, in gedank-
203 licher Obj ektivierung nicht eigentliche Mächte zu | beschwören, sondern Sinngebilde
zu konstruieren. Sie wollen die Situation des Kampfes der Mächte in begrifflicher Form
auffassen. Sie werden keine Chiffern. Als Gedankengebilde stehen sie an der Grenze
von Wissenschaft und Philosophie. Auch von ihnen seien nur Beispiele genannt.

(a) Für den gewichtigsten Versuch halte ich die Gedanken, welche Max Weber in seiner »Zwi-
schenbetrachtung« über »Stufen und Richtungen religiöser Weltablehnung« niedergelegt hat
(Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band I, Seite 536-573). Er spricht aus der Haltung
des wissenschaftlichen Menschen. Daher erhebt er nur den Anspruch, »ein idealtypisches Ori-
entierungsmittel zu sein, nicht eine eigene Philosophie zu lehren«.182 Sein Thema ist die Weltab-
lehnung. Er zeigt die Richtungen der Weltablehnung in bezug auf die ökonomische, politische,
ästhetische, erotische, intellektuelle Sphäre. Es soll sinnhaft klar werden, wie und an welchen
Orten innerliche Konflikte von Lebensordnungen möglich und adäquat sind. Nicht aber will
Max Weber behaupten, »daß es keinerlei Standpunkt gebe, von dem aus sie als >aufgehoben< gel-
ten könnten«.183 Seine Konstruktion führt Max Weber unter ständiger Veranschaulichung his-
torischer Erscheinungen durch. Damit zeigt er zugleich den geschichtlichen Charakter dessen,
was er hier als einen Aspekt des Kampfes der Mächte darbietet.
 
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