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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
lassen. Toleranz will das, was in der Zeit nur in der Bewegung des Kampfes in grenzen-
loser Kommunikation möglich ist, nicht reduzieren lassen auf eine einzige Farbe. Aber
auch diese Toleranz wird unter die Frage gestellt: Ist das, was ihr als das eigentlich Freie
erscheint, nicht selber doch nur der Ausdruck einer Macht unter anderen Mächten?
Unversöhnlich steht doch das Bewußtsein, auf dem Wege und nicht im Besitz der ei-
nen einzigen Wahrheit zu sein, dem Bewußtsein des Gehorsams gegenüber, das sich
der einen objektiv garantierten Wahrheit, die ihm zuteil geworden ist, für immer un-
terworfen hat. Toleranz und Intoleranz lassen sich doch nicht vereinigen. Daher der
Satz: Die Toleranz selber wird intolerant gegen die Intoleranz. Hier ist zu unterschei-
den: Wenn die Intoleranz im Dasein Mittel des Zwangs und der Gewalt anwendet,
dann muß die Toleranz gegen diese Weise der Verkehrung des Geistigen in das Gewalt-
same ganz und gar intolerant sein (und ist es leider nicht immer gewesen). Im Raum
des geistigen Kampfes aber wird die Toleranz nie die Hoffnung aufgeben, im Mitein-
anderreden den Anderen doch auch kommunikativ aufzuschließen und zu jener Ein-
mütigkeit zu kommen, die, zwar im Fragen bleibend, mit dem verbunden sein läßt, der
nicht nur in besonderen Chiffern, sondern in der Grundverfassung zur Chiffernwelt
Gegner bleibt.
Diese Einmütigkeit ist da, wenn die Gegner sich gegenseitig das uneingeschränkte
Recht zu ihrem Glauben, ihrer Einsicht, ihrer Überzeugung geben. Sie ist möglich,
wenn Aussprache ohne Rückhalt gegenseitig erlaubt wird. Denn sonst bleibt der
Schleier, der überall in der Welt das Miteinanderleben ermöglicht, indem es zugleich
untergraben wird. Die eigentliche Kommunikation wird durch die Konvention er-
stickt. In dieser Einmütigkeit wollen die Gegner auch ihre Freiheit der öffentlichen
Mitteilung, der Angabe von Tatsachen und Denkbewegungen oder ihre Freiheit der
Verkündigung nicht einschränken, weder direkt noch indirekt. Sie geben einander
208 nicht nur | das äußerlich gesicherte, sondern das innerlich bejahte Recht zum Zeug-
nis ihrer Existenz. Die Einmütigkeit bedeutet aber auch, sich im Innersten voneinan-
der angehen zu lassen.
Gemeinsam leben wir in dem Raum des Kampfes, der mit den Chiffern erfüllt ist.
In diesem geistigen Lebensraum treten immer wieder die unüberbrückbar scheinen-
den Gegensätze auf. Kein Mensch ist alles. Keine faßliche Wahrheit ist alle Wahrheit.
Nichts Greifbares ist absolut. Von dieser Freiheit her gesehen erscheinen alle Ansprü-
che von Menschen im festen Behaupten, im Bekennen, in endgültig wahren Chiffern
wie die Ansprüche von Gefangenen.
Der Illiberale sagt: Daß du nichts Festes behaupten, nicht bekennen willst, das be-
zeugt deinen Unernst. Bei deiner Haltung kannst du in der Vielfachheit des Möglichen
überhaupt nirgends die Wahrheit ergreifen. Du vermagst wahre und falsche Chiffern
nicht zu unterscheiden. Der Kampf hat kein Ende.
Die Antwort: In der Tat kann in der Zeit des Lebens der Kampf kein Ende finden.
Warum nicht? Es ist zu unterscheiden: die unbedingte Wahrheit, die allein durch die
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
lassen. Toleranz will das, was in der Zeit nur in der Bewegung des Kampfes in grenzen-
loser Kommunikation möglich ist, nicht reduzieren lassen auf eine einzige Farbe. Aber
auch diese Toleranz wird unter die Frage gestellt: Ist das, was ihr als das eigentlich Freie
erscheint, nicht selber doch nur der Ausdruck einer Macht unter anderen Mächten?
Unversöhnlich steht doch das Bewußtsein, auf dem Wege und nicht im Besitz der ei-
nen einzigen Wahrheit zu sein, dem Bewußtsein des Gehorsams gegenüber, das sich
der einen objektiv garantierten Wahrheit, die ihm zuteil geworden ist, für immer un-
terworfen hat. Toleranz und Intoleranz lassen sich doch nicht vereinigen. Daher der
Satz: Die Toleranz selber wird intolerant gegen die Intoleranz. Hier ist zu unterschei-
den: Wenn die Intoleranz im Dasein Mittel des Zwangs und der Gewalt anwendet,
dann muß die Toleranz gegen diese Weise der Verkehrung des Geistigen in das Gewalt-
same ganz und gar intolerant sein (und ist es leider nicht immer gewesen). Im Raum
des geistigen Kampfes aber wird die Toleranz nie die Hoffnung aufgeben, im Mitein-
anderreden den Anderen doch auch kommunikativ aufzuschließen und zu jener Ein-
mütigkeit zu kommen, die, zwar im Fragen bleibend, mit dem verbunden sein läßt, der
nicht nur in besonderen Chiffern, sondern in der Grundverfassung zur Chiffernwelt
Gegner bleibt.
Diese Einmütigkeit ist da, wenn die Gegner sich gegenseitig das uneingeschränkte
Recht zu ihrem Glauben, ihrer Einsicht, ihrer Überzeugung geben. Sie ist möglich,
wenn Aussprache ohne Rückhalt gegenseitig erlaubt wird. Denn sonst bleibt der
Schleier, der überall in der Welt das Miteinanderleben ermöglicht, indem es zugleich
untergraben wird. Die eigentliche Kommunikation wird durch die Konvention er-
stickt. In dieser Einmütigkeit wollen die Gegner auch ihre Freiheit der öffentlichen
Mitteilung, der Angabe von Tatsachen und Denkbewegungen oder ihre Freiheit der
Verkündigung nicht einschränken, weder direkt noch indirekt. Sie geben einander
208 nicht nur | das äußerlich gesicherte, sondern das innerlich bejahte Recht zum Zeug-
nis ihrer Existenz. Die Einmütigkeit bedeutet aber auch, sich im Innersten voneinan-
der angehen zu lassen.
Gemeinsam leben wir in dem Raum des Kampfes, der mit den Chiffern erfüllt ist.
In diesem geistigen Lebensraum treten immer wieder die unüberbrückbar scheinen-
den Gegensätze auf. Kein Mensch ist alles. Keine faßliche Wahrheit ist alle Wahrheit.
Nichts Greifbares ist absolut. Von dieser Freiheit her gesehen erscheinen alle Ansprü-
che von Menschen im festen Behaupten, im Bekennen, in endgültig wahren Chiffern
wie die Ansprüche von Gefangenen.
Der Illiberale sagt: Daß du nichts Festes behaupten, nicht bekennen willst, das be-
zeugt deinen Unernst. Bei deiner Haltung kannst du in der Vielfachheit des Möglichen
überhaupt nirgends die Wahrheit ergreifen. Du vermagst wahre und falsche Chiffern
nicht zu unterscheiden. Der Kampf hat kein Ende.
Die Antwort: In der Tat kann in der Zeit des Lebens der Kampf kein Ende finden.
Warum nicht? Es ist zu unterscheiden: die unbedingte Wahrheit, die allein durch die