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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
und Zwang auf. Sie sprachen in der uns ergreifenden Unmittelbarkeit indirekt. Wir ver-
stehen sie nur, wenn wir ihren Ernst verstehen. Wir sind mit ihnen auf Wahrheit der
Transzendenz gerichtet. Aber sie lassen uns frei. Sie bringen uns zur Erfahrung aller
Möglichkeiten im Spiel. Sie befähigen uns, im Miterleben Erfahrungen zu machen, als
ob wir in unserem Innern selbst für uns ein Schauspiel in unendlichen Verwandlun-
gen vollzögen. Wir werden in der Möglichkeit, was wir damit noch keineswegs wirk-
lich sind oder sein wollen. Wir werden erfüllt mit einer Welt von Anschauungen, die
uns als Einzelne ins Unermeßliche des möglichen Menschseins erweitert. Hier liegt
210 eine unersetzliche Quelle unserer Liberalität | und Humanität. Denn der Ernst ohne
Den Raum freien Atmens, den Dichter und Künstler schaffen, wird zu dem dumpfen
Ernst ohne Weite und Menschlichkeit.
(8) Über die Chiffern hinaus: Chiffern weisen über sich hinaus auf den Grund der
Dinge, auf das, was das »Sein«, das »Nichts«, das »Sein-Nichts«, das »Übersein«, das »vor
allem Sein«, das »jenseits allen Seins« heißt, und seit Jahrtausenden im Philosophieren
berührt wird.
Vernichtet nicht der Anspruch der Bildlosigkeit der Transzendenz alle Chiffern? Ist
nicht erst das Jenseits aller Chiffern allein die Wahrheit?
Jede Chiffer ist nur ein Wegweiser oder ein Licht. Keine Chiffer ist die letzte, nicht
die eine und einzige.
Jede Chiffer ist auch Erscheinung, Vordergrund, eine Sprache. Jede bedarf des Be-
wußtseins ihrer Beschränktheit, um das zu erspüren, was über sie hinaus liegt. Der
Kampf der Chiffern ist die Notwendigkeit, die auch verwehrt, daß irgendeine sich zur
absoluten macht.
Daher möchten wir über alle Chiffern dorthin gelangen, wo sie verschwinden. Aber
selbst für dieses Hinauskommen sind wir wieder auf eine Chiffernsprache angewiesen,
eine solche, die in sich selbst schon dieses Verschwinden einschließt.
Meinen wir aber, über die Chiffern hinausgelangt zu sein, so kehren wir doch, so-
lange wir leben, stets in die Erscheinung unseres Zeitdaseins zurück. Vermögen wir in
existentiellem Denken mit hellem Bewußtsein vielleicht für einen Augenblick in das
Adyton des Undenkbaren, Unanschaubaren, Unaussagbaren zu gelangen, dann fallen
wir doch sogleich zurück in die Welt, in der die Chiffern unsere Sprache sind.
Im Kampf der Chiffern bleibt die Unruhe. Keine Chiffer ist genügend, jede wird
eine Verführung zu vorzeitiger Ruhe.
Die Ruhe in einer Chiffer wird selber zur Chiffer. Sie ist nicht die Vollendung der
Ruhe. Wir kennen die wundersame Ruhe im Augenblick. Aber sie ist als Dauer in der
Zeit existentiell nicht möglich.
Wir sehnen uns nach Ruhe, sind immer geneigt, sie in Gedankenlosigkeit oder Ver-
gessenheit oder Trägheit zu finden. Aber mächtiger ist der Wille zur Wahrheit. Er zer-
schlägt jede Scheinruhe. Er erfährt, daß mit der Preisgabe der Unruhe die Wahrheit der
Existenz verlorengeht.
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
und Zwang auf. Sie sprachen in der uns ergreifenden Unmittelbarkeit indirekt. Wir ver-
stehen sie nur, wenn wir ihren Ernst verstehen. Wir sind mit ihnen auf Wahrheit der
Transzendenz gerichtet. Aber sie lassen uns frei. Sie bringen uns zur Erfahrung aller
Möglichkeiten im Spiel. Sie befähigen uns, im Miterleben Erfahrungen zu machen, als
ob wir in unserem Innern selbst für uns ein Schauspiel in unendlichen Verwandlun-
gen vollzögen. Wir werden in der Möglichkeit, was wir damit noch keineswegs wirk-
lich sind oder sein wollen. Wir werden erfüllt mit einer Welt von Anschauungen, die
uns als Einzelne ins Unermeßliche des möglichen Menschseins erweitert. Hier liegt
210 eine unersetzliche Quelle unserer Liberalität | und Humanität. Denn der Ernst ohne
Den Raum freien Atmens, den Dichter und Künstler schaffen, wird zu dem dumpfen
Ernst ohne Weite und Menschlichkeit.
(8) Über die Chiffern hinaus: Chiffern weisen über sich hinaus auf den Grund der
Dinge, auf das, was das »Sein«, das »Nichts«, das »Sein-Nichts«, das »Übersein«, das »vor
allem Sein«, das »jenseits allen Seins« heißt, und seit Jahrtausenden im Philosophieren
berührt wird.
Vernichtet nicht der Anspruch der Bildlosigkeit der Transzendenz alle Chiffern? Ist
nicht erst das Jenseits aller Chiffern allein die Wahrheit?
Jede Chiffer ist nur ein Wegweiser oder ein Licht. Keine Chiffer ist die letzte, nicht
die eine und einzige.
Jede Chiffer ist auch Erscheinung, Vordergrund, eine Sprache. Jede bedarf des Be-
wußtseins ihrer Beschränktheit, um das zu erspüren, was über sie hinaus liegt. Der
Kampf der Chiffern ist die Notwendigkeit, die auch verwehrt, daß irgendeine sich zur
absoluten macht.
Daher möchten wir über alle Chiffern dorthin gelangen, wo sie verschwinden. Aber
selbst für dieses Hinauskommen sind wir wieder auf eine Chiffernsprache angewiesen,
eine solche, die in sich selbst schon dieses Verschwinden einschließt.
Meinen wir aber, über die Chiffern hinausgelangt zu sein, so kehren wir doch, so-
lange wir leben, stets in die Erscheinung unseres Zeitdaseins zurück. Vermögen wir in
existentiellem Denken mit hellem Bewußtsein vielleicht für einen Augenblick in das
Adyton des Undenkbaren, Unanschaubaren, Unaussagbaren zu gelangen, dann fallen
wir doch sogleich zurück in die Welt, in der die Chiffern unsere Sprache sind.
Im Kampf der Chiffern bleibt die Unruhe. Keine Chiffer ist genügend, jede wird
eine Verführung zu vorzeitiger Ruhe.
Die Ruhe in einer Chiffer wird selber zur Chiffer. Sie ist nicht die Vollendung der
Ruhe. Wir kennen die wundersame Ruhe im Augenblick. Aber sie ist als Dauer in der
Zeit existentiell nicht möglich.
Wir sehnen uns nach Ruhe, sind immer geneigt, sie in Gedankenlosigkeit oder Ver-
gessenheit oder Trägheit zu finden. Aber mächtiger ist der Wille zur Wahrheit. Er zer-
schlägt jede Scheinruhe. Er erfährt, daß mit der Preisgabe der Unruhe die Wahrheit der
Existenz verlorengeht.