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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0360
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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Die Ruhe, die dem Menschen in Wahrheit vergönnt ist, muß ihren | Anker finden 211
im Jenseits aller Chiffern, wo doch kein menschlicher Anker zu halten scheint. Aber
von dort her gewinnen unsere Chiffern ihr Licht und ihre Schatten.
(9) Unsere Darstellung: Wir werden uns geschichtlichen Gestalten der Chiffern zuwen-
den. Wenn wir sie uns aneignen, sind sie im Sinne historischen Wissens vereinfacht. Die
Realität des Historischen ist viel verwickelter, sowohl großartiger wie auch trüber.
Man fragt wohl: Was gehen uns die einst lebendigen Chiffern an? Was die wunder-
lichen Spekulationen? Was die Bilderund Geschichten? Sind sie alle nicht Kuriositäten
geworden? Sind sie nicht ärgerlich? Wir widersprechen, denn wir leben und denken
in der Erfahrung, daß sie, obzwar verwandelt, so lebendig und wahr sind wie je.
Unsere Darstellung ist von vornherein »interessiert«. Wir möchten in Berührung
kommen mit der Wahrheit der Chiffern. Wir suchen nicht den unermeßlichen histo-
rischen Tatsachenbereich der Mythengeschichte, der Religionsgeschichte, der Philo-
sophiegeschichte, folgen auch nicht psychologischen und soziologischen Fragestel-
lungen. Uns interessiert die Wahrheitsfrage als solche, und zwar die Frage nach dieser
Wahrheit von Chiffern, die man nicht wissen, sondern nur existentiell erfahren kann.
In den geschichtlichen Gestalten der Chiffern sind wir aufmerksam auf das, was als
mögliche Wahrheit anspricht. Wir verhalten uns also nicht objektiv, d.h. nicht wis-
senschaftlich, nicht historisch, psychologisch, soziologisch, aber auch nicht subjek-
tiv nach Geschmack und Neigung. Wir treten vielmehr ein in die Betroffenheiten, die
überall, wo wir dabei sind, im Denken zu innerem Handeln werden.
Unsere Chiffern haben ihren Grund in der Bibel, in den griechischen Dichtern und
Philosophen, in den Gestalten ihrer Aneignungen und Verwandlungen durch die Zei-
ten. Hinzu kommt das schwer abschätzbare, seit Jahrtausenden erfolgende Zuströmen
asiatischer Gedanken. Chiffern versinken in Vergessenheit und können wieder neu in
Erscheinung treten.
Mein Versuch, von einigen Chiffern zu sprechen, steht zwar in der gegenwärtigen
geistigen Situation, ist aber gerichtet auf die Ewigkeit. Einige Bruchstücke lege ich trotz
ihres fragmentarischen Charakters in diesem Teil meines Buches vor.
Wir brauchen für die Darstellung eine Anordnung. Ich vermag nicht, geradezu ein
Bild vom Kampf der Mächte zu geben derart, daß eine Reihe von Mächten als Mittel-
punkte daständen, die durch die | Chiffern in der Existenz des Menschen ihren Kampf 212
führen. Das hieße, eine Chiffer, die der Mächte, zur absoluten zu machen. Es bedeu-
tete, eine Grunderfahrung zu fixieren in klaren Fronten, die ich trotz der ständigen
Kampferfahrung nicht kenne. Fronten, die in einem Augenblick mächtig sich auf drän-
gen, scheinen sich zu verschieben und zu verwandeln. In dem undurchsichtigen Ge-
tümmel die Fronten von »Machtsubjekten« zu konstruieren, würde doch selber nur
eine Chiffer hervorbringen. Es wäre eine solche, die den Willen zur Kommunikation
durch vorzeitige Absolutheiten lähmen könnte. Diese Konstruktionen könnten nie
eine Übersicht, sondern nur Aspekte von Fronten geben, die sich dem denkend Dar-
 
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