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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0362
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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wesen dahin gedrängt, im Transzendieren zur Gottheit hin in Chiffern sich zu bewe-
gen, die zwar vergeblich sind, wenn sie die Transzendenz selber wollen, aber doch je
auf ihre Weise seinen Weg lenken. Was so unfaßlich, unvorstellbar, allumgreifend ist,
kann nur in Chiffern, immer ungemäß und auf unendlich abwandelbare Weise zu-
gänglich werden.

| A. Die Grundchiffern der Gottheit

214

Drei keineswegs zusammenfallende Chiffern der Gottheit sind: Der eine Gott - der per-
sönliche Gott - Gott ist Mensch geworden.

1. Der eine Gott
(1) Der Glaube an viele Götter bezeugt: wir sind zerrissen in Möglichkeiten, die sich
ausschließen; wir zerfallen in das Tun und Denken des Unvereinbaren. In Chiffern ge-
sprochen: es gibt viele Mächte, die sich in uns und durch uns bekämpfen. Dagegen
wendet sich, nicht überall in der Geschichte gleich klar, selten in großer und men-
schenprägender Erscheinung der Wille zum Einen.
(2) Die Kraft des Einen bringt mich aus der Zerstreuung zu mir selbst. Ich will mit
mir identisch werden. In dem Maße als ich dem Ursprung des Einen verbunden werde,
wachse ich in das, was meinem Leben Zusammenhang gibt.
Das Eine ist zugleich für mich in der Einen Transzendenz und in mir als das Eine,
dem meine geschichtliche Verwirklichung folgt. Diese Existenz in ihrer Winzigkeit
wird die Chiffer jenes unendlichen Einen, das selber Chiffer ist. In meiner Gegenwär-
tigkeit spiegelt gleichsam das existentiell Eine, soweit es wirklich wird, das unendlich
Eine wie einer der unzähligen Wassertropfen die eine Sonne.
Das Eine rückt hinaus in unendliche Ferne, wenn man es fassen will, und gibt ganz
nahe meinem Selbstsein die Existenz. Das Eine ist unendlich fern, wenn ich in ihm
den Grund alles Seienden suche. Es ist ganz nah, wenn ich mir in meiner Freiheit zum
Einen hin geschenkt werde.
In dem Bezug auf das ungeschichtliche, unveränderliche, ewige Eine wird unsere
existentielle Verwirklichung in ihrer Geschichtlichkeit, Veränderlichkeit, Zeitlichkeit
geborgen dadurch, daß sich jenes Eine als Anspruch zum Einen kundgibt. Das ewige
Eine wird Grund und Ziel in der zum Einen ihrer selbst drängenden Existenz.
(3) Das Eine der Transzendenz ist die erfüllte Ewigkeit. Es schließt nichts aus, weil
nichts außer ihm ist, sondern alles durch es.
Es ist nicht bedroht. Für das Eine brauchen wir Menschen nicht zu kämpfen. Aber
kämpfen müssen wir für uns, daß wir es hören und spiegeln und seine Chiffer werden.
(4) Das Eine wird für mich wirklich nur in der geschichtlichen Ge| stalt, die andere, 215
unendlich mannigfache geschichtliche Gestalten möglich macht und begehrt.
 
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