Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
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Es gibt auch keinen geschichtlichen Fortschritt solchen Denkens, wohl aber seine
Erweiterung und Bereicherung durch Denkmöglichkeiten, in denen immer derselbe
Wirbel im Gedachten, der Schwindel im Denkenden und gleichsam die Ordnung von
Wirbel und Schwindel jeweils neue Formen gewinnt.
Das spekulative Denken entwirft keine Theorie im Sinne einer | wissenschaftlichen 422
Forschung, die dann bestätigt, verbessert oder durch eine neue richtigere ersetzt würde.
Aber es gibt den gewaltigen Bestand spekulativen Kreisens in der Geschichte der Philo-
sophie.
(2) Unter Mystik versteht man zunächst zwei einander entgegengesetzte Erfahrun-
gen. Erstens: Visionen, die aus übersinnlicher Herkunft verstanden werden, zweitens die
unio mystica der Einung in Ichlosigkeit und Gegenstandlosigkeit, diesen inkommuni-
kablen Zustand, in dem weder Ich und Gegenstand noch Gegenstände untereinander
unterschieden, alles eines ist. Mystik nennt man aber drittens auch die Seinsspekula-
tion, die mit ihren dialektischen Bewegungen in hellstem Bewußtsein unter Verschwin-
den alles Gegenständlichen durch das Denken selbst des Seins innewerden läßt.
Die drei Weisen der Mystik stehen im Kampf. Das reine Denken des Seins verwirft
die Schwärmerei in Visionen und Ekstasen. Die »heilige« Nüchternheit des Denkens
verwirft das Erleben der unio als bloßes Erleben. Die Disziplin methodischer Gedan-
kenvollzüge trennt sich von den Exerzitien einer Bewußtseinsverwandlung in Medi-
tationsstufen.
Jedoch bleibt auch die Beziehung der drei. Die dialektische Spekulation wird zur
Interpretation der unio, bedient sich der visionären Inhalte als Gleichnissen. Die Vi-
sionen und die unio drängen ihrerseits zum spekulativen Denken, in dem sie sich ver-
stehen.
(3) Die Seinsspekulation spricht sich in rationalen Sätzen aus. Sie ist zu ihrem me-
thodologischen Selbstbewußtsein zu bringen. Aber in der rationalen Reinheit ist sie
für sich allein leer. Wenn sie betroffen macht, entbehrt sie doch als solche der gegen-
wärtigen Erfüllung. In ihrer immer gleichen Rationalität wird sie einförmig.
Daher bedarf die Seinsspekulation der Ergänzung, durch die sie erst ihren Wahr-
heitscharakter bewährt. Oder sie bedarf eines vorhergehenden Erfülltseins, in dem sie
selber nur eine Funktion ist.
Ist diese Ergänzung in Erlebnissen, Bewußtseinszuständen, Visionen gegeben, dann
handelt es sich, vom Ernst der Philosophie her gesehen, nicht selten um Zauberei und
Wahn, um Selbstgenuß und Selbstvernichtung.
Ist diese Ergänzung die Existenz, so gewinnt diese durch jene Spekulation die Weite
des Seinsraumes, in dem sie ihre geschichtliche Einsenkung geborgen sieht dadurch,
daß sie sie um so unbedingter und treuer vollzieht.
Während die rationalen Bewegungen als nur solche wie eine ratio|nale Spielerei 423
des Verstandes anmuten und ohne Folgen in das bloße Nichtsein führen, können sie
existentiell durch Scheitern des Denkens in eine andere Grundverfassung bringen:
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Es gibt auch keinen geschichtlichen Fortschritt solchen Denkens, wohl aber seine
Erweiterung und Bereicherung durch Denkmöglichkeiten, in denen immer derselbe
Wirbel im Gedachten, der Schwindel im Denkenden und gleichsam die Ordnung von
Wirbel und Schwindel jeweils neue Formen gewinnt.
Das spekulative Denken entwirft keine Theorie im Sinne einer | wissenschaftlichen 422
Forschung, die dann bestätigt, verbessert oder durch eine neue richtigere ersetzt würde.
Aber es gibt den gewaltigen Bestand spekulativen Kreisens in der Geschichte der Philo-
sophie.
(2) Unter Mystik versteht man zunächst zwei einander entgegengesetzte Erfahrun-
gen. Erstens: Visionen, die aus übersinnlicher Herkunft verstanden werden, zweitens die
unio mystica der Einung in Ichlosigkeit und Gegenstandlosigkeit, diesen inkommuni-
kablen Zustand, in dem weder Ich und Gegenstand noch Gegenstände untereinander
unterschieden, alles eines ist. Mystik nennt man aber drittens auch die Seinsspekula-
tion, die mit ihren dialektischen Bewegungen in hellstem Bewußtsein unter Verschwin-
den alles Gegenständlichen durch das Denken selbst des Seins innewerden läßt.
Die drei Weisen der Mystik stehen im Kampf. Das reine Denken des Seins verwirft
die Schwärmerei in Visionen und Ekstasen. Die »heilige« Nüchternheit des Denkens
verwirft das Erleben der unio als bloßes Erleben. Die Disziplin methodischer Gedan-
kenvollzüge trennt sich von den Exerzitien einer Bewußtseinsverwandlung in Medi-
tationsstufen.
Jedoch bleibt auch die Beziehung der drei. Die dialektische Spekulation wird zur
Interpretation der unio, bedient sich der visionären Inhalte als Gleichnissen. Die Vi-
sionen und die unio drängen ihrerseits zum spekulativen Denken, in dem sie sich ver-
stehen.
(3) Die Seinsspekulation spricht sich in rationalen Sätzen aus. Sie ist zu ihrem me-
thodologischen Selbstbewußtsein zu bringen. Aber in der rationalen Reinheit ist sie
für sich allein leer. Wenn sie betroffen macht, entbehrt sie doch als solche der gegen-
wärtigen Erfüllung. In ihrer immer gleichen Rationalität wird sie einförmig.
Daher bedarf die Seinsspekulation der Ergänzung, durch die sie erst ihren Wahr-
heitscharakter bewährt. Oder sie bedarf eines vorhergehenden Erfülltseins, in dem sie
selber nur eine Funktion ist.
Ist diese Ergänzung in Erlebnissen, Bewußtseinszuständen, Visionen gegeben, dann
handelt es sich, vom Ernst der Philosophie her gesehen, nicht selten um Zauberei und
Wahn, um Selbstgenuß und Selbstvernichtung.
Ist diese Ergänzung die Existenz, so gewinnt diese durch jene Spekulation die Weite
des Seinsraumes, in dem sie ihre geschichtliche Einsenkung geborgen sieht dadurch,
daß sie sie um so unbedingter und treuer vollzieht.
Während die rationalen Bewegungen als nur solche wie eine ratio|nale Spielerei 423
des Verstandes anmuten und ohne Folgen in das bloße Nichtsein führen, können sie
existentiell durch Scheitern des Denkens in eine andere Grundverfassung bringen: