Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
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(2) Macht sich das Transzendieren in den letzten Grund der Grundlosigkeit selb-
ständig und zum Endziel, so geht es sich selbst verloren: Erstens wird das endlose »wei-
ter«, das notwendig ist gegenüber jeder Fixierung, sinnlos in dem geheimnisvoll sich
gebenden Immer noch einmal, als ob bisher der letzte Schritt, die letzte und eigentli-
che Frage versäumt sei. Zweitens geschieht dann die falsche Erfüllung durch Chiffern,
die hier grade nicht mehr ihren Ort haben, etwa durch Chiffern irgendeines Handelns
oder Fassens, eines Sichzurückziehens und Sichverbergens der Transzendenz oder ih-
res Öffnens eines Weges zu sich. Dafür gibt es mannigfache Beispiele in dem gnosti-
schen (sowohl europäischen wie asiatischen) Denken. Dann hat das ewige Sein-Nichts
etwa wieder seine Geschichte, es läßt Abfall und Unheil zu, es sendet Befreier und Er-
löser. Es ist gar von einem Gott die Rede, dessen eigenes geschichtliches Werden sich
spiegelt in den großen Epochen der menschlichen Geschichte. Götter werden gebo-
ren und sterben. Die Macht des »Seins« ist, dies zu bewirken. Sie sendet das Schicksal
des unheimlichen Weltgeschehens. Solches Denken gibt sich kund einmal in forma-
len Verdünnungen, dann in phantastischen Gebilden, in Sichten der in ihrer Kon-
kretheit gedeuteten faktischen Menschheitsgeschichte (meistens als ein einziger un-
geheurer Abfallsprozeß vorgestellt). Es verführt, sei es durch das Geheimnis, sei es im
Widerspruch dazu durch die märchenhafte Offenbarkeit, durch dies faszinierende Hin
und Her. Nach der jahrtausendealten Überlieferung, die ihre | Erscheinung je nach den
Anschauungen, Kenntnissen, Begrifflichkeiten der Zeitalter abwandelt, war Schelling
ein neuer Höhepunkt innerhalb des philosophischen Idealismus. Klages scheint mir
die letzte aus ursprünglicher historischer Anschauung gewonnene, mit Modernität
erfüllte philosophische Gnostik hervorgebracht zu haben.536
(3) In der Seinsspekulation sind »Sachverhalte« vielleicht Leitfäden, aber nicht der
Gehalt. Die Wahrheit liegt in dem, was den Bezug des Gedachten zum Denkenden um-
greift, nicht in der Belanglosigkeit eines flachen Sachverhalts. Der wirkliche spekula-
tive Gedanke ist ein inneres Handeln. Das Sein wird hell, indem ich selbst mich ver-
wandle. Darin, wie das geschieht, wird das Sein sprechend. Diesen Sinn hat das Denken
nur in der Bewegung, nicht im Lehrstück. Was der Existenz in diesem Spiel des Gedan-
kens gewiß wird, ist ihr längst aus anderer Quelle gekommen, nicht aus der Einsicht
allein, wird aber nur in ihr, nicht ohne sie hell.
7. Der Wille zum Lesen der Chiffern ist der Wille zur Existenz in der Welt
Existenz, in der Welt sich findend, will durch sich in der Welt erfahren, was ist.
Das Undenkbare des Seins vor den Chiffern, dieses Seins, das, da ihm alles mangelt,
was in der Welt Realität und Gegenständlichkeit verleiht, von der Welt her gesehen
Nichts ist, verwehrt jede Chiffer, wenn diese als solche absolut werden möchte. Es ver-
wehrt in diesem Sinne auch die Absolutheit der Chiffer des persönlichen Gottes. Aber
es vernichtet nicht die Chiffern, auch nicht die Chiffer des einen persönlichen Gottes.
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(2) Macht sich das Transzendieren in den letzten Grund der Grundlosigkeit selb-
ständig und zum Endziel, so geht es sich selbst verloren: Erstens wird das endlose »wei-
ter«, das notwendig ist gegenüber jeder Fixierung, sinnlos in dem geheimnisvoll sich
gebenden Immer noch einmal, als ob bisher der letzte Schritt, die letzte und eigentli-
che Frage versäumt sei. Zweitens geschieht dann die falsche Erfüllung durch Chiffern,
die hier grade nicht mehr ihren Ort haben, etwa durch Chiffern irgendeines Handelns
oder Fassens, eines Sichzurückziehens und Sichverbergens der Transzendenz oder ih-
res Öffnens eines Weges zu sich. Dafür gibt es mannigfache Beispiele in dem gnosti-
schen (sowohl europäischen wie asiatischen) Denken. Dann hat das ewige Sein-Nichts
etwa wieder seine Geschichte, es läßt Abfall und Unheil zu, es sendet Befreier und Er-
löser. Es ist gar von einem Gott die Rede, dessen eigenes geschichtliches Werden sich
spiegelt in den großen Epochen der menschlichen Geschichte. Götter werden gebo-
ren und sterben. Die Macht des »Seins« ist, dies zu bewirken. Sie sendet das Schicksal
des unheimlichen Weltgeschehens. Solches Denken gibt sich kund einmal in forma-
len Verdünnungen, dann in phantastischen Gebilden, in Sichten der in ihrer Kon-
kretheit gedeuteten faktischen Menschheitsgeschichte (meistens als ein einziger un-
geheurer Abfallsprozeß vorgestellt). Es verführt, sei es durch das Geheimnis, sei es im
Widerspruch dazu durch die märchenhafte Offenbarkeit, durch dies faszinierende Hin
und Her. Nach der jahrtausendealten Überlieferung, die ihre | Erscheinung je nach den
Anschauungen, Kenntnissen, Begrifflichkeiten der Zeitalter abwandelt, war Schelling
ein neuer Höhepunkt innerhalb des philosophischen Idealismus. Klages scheint mir
die letzte aus ursprünglicher historischer Anschauung gewonnene, mit Modernität
erfüllte philosophische Gnostik hervorgebracht zu haben.536
(3) In der Seinsspekulation sind »Sachverhalte« vielleicht Leitfäden, aber nicht der
Gehalt. Die Wahrheit liegt in dem, was den Bezug des Gedachten zum Denkenden um-
greift, nicht in der Belanglosigkeit eines flachen Sachverhalts. Der wirkliche spekula-
tive Gedanke ist ein inneres Handeln. Das Sein wird hell, indem ich selbst mich ver-
wandle. Darin, wie das geschieht, wird das Sein sprechend. Diesen Sinn hat das Denken
nur in der Bewegung, nicht im Lehrstück. Was der Existenz in diesem Spiel des Gedan-
kens gewiß wird, ist ihr längst aus anderer Quelle gekommen, nicht aus der Einsicht
allein, wird aber nur in ihr, nicht ohne sie hell.
7. Der Wille zum Lesen der Chiffern ist der Wille zur Existenz in der Welt
Existenz, in der Welt sich findend, will durch sich in der Welt erfahren, was ist.
Das Undenkbare des Seins vor den Chiffern, dieses Seins, das, da ihm alles mangelt,
was in der Welt Realität und Gegenständlichkeit verleiht, von der Welt her gesehen
Nichts ist, verwehrt jede Chiffer, wenn diese als solche absolut werden möchte. Es ver-
wehrt in diesem Sinne auch die Absolutheit der Chiffer des persönlichen Gottes. Aber
es vernichtet nicht die Chiffern, auch nicht die Chiffer des einen persönlichen Gottes.
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