430
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
(i) Im Transzendieren über alle Chiffern, hinaus nicht nur über die Welt, sondern
über die Wirklichkeit unserer Existenz im Dasein, gelangen wir in die große Leere, in
das All, das Nichts ist, in die Fülle, die ohne Offenbarung bleibt.
Scheint das einen Augenblick zu gelingen, so verschwinden Ich und Gegenstand,
Raum und Zeit. Der für unser Denken und Vorstellen unerfüllbare Raum reinen Lich-
tes ist erreicht, ohne daß etwas vom Licht getroffen würde. Unserer Zeitlichkeit und
Endlichkeit geht der Atem aus. Aus der übermenschlichen Bewußtlosigkeit oder Über-
bewußtheit kehren wir zurück zu den Chiffern.
426 | (2) Für den Menschen, der jenen überweltlichen Ort einen Augenblick erreicht
hat, geht doch sein Dasein in der Welt weiter. Wie ist dieses Dasein dann noch mög-
lich? Es gab die Menschen, die sich abkehrten von der Welt, in Wälder und Wüsten
gingen, wo sie starben, wenn nicht Menschen, die sie als Heilige verehrten, ihnen Nah-
rung gaben und sie sich das gefallen ließen.
Bleibt der Mensch, dem jene weltlose Erfahrung zuteil wurde, in der Welt, so wird
seine Erscheinung zweideutig. Wie ist zu unterscheiden das Übermenschliche und der
Schwindel? Der Verzicht auf Alles des Einen wegen erzeugt in dem, der so lebt, durch
seine Daseinsrealität eine für Andere geheimnisvolle, geglaubte Gestalt oder er wird
eine als Zauberer durchschaubare Figur. Aus dem Weg zum höchsten Ziel wird ein Ge-
schäft in der Welt.
Der Gang in das Nichts, in dem das Eigentliche beschlossen liegt, führt aus der Welt
hinaus, ohne noch den Rest eines Interesses an der Welt zu bewahren. Aber dieser Gang
erfordert, da das faktische Dasein mit Sinnen und Anschauen und Denken weiterläuft,
die höchste Anspannung, die erst durch diese selber in das wahre und wirkliche
Sichloslassen führt. Oder dieser Gang in das Nichts führt zur Verkehrung: In der Pas-
sivität des Sichgehenlassens verliert der Mensch den Ursprung. Statt die absolute Leere
des ewigen Nichts als Chiffer zu erfahren, gerät das Denken in einen dieser Erfahrung
fernen Zustand einer Betrachtung mit Begriffen, in der eine zur Spielerei gewordene
Spekulation als philosophisch gilt.
Es ist wunderlich, wie unerreichbare Wahrheit gleichsam berührt wird, und diese
Berührung sich so ganz in Betrug und Selbstbetrug verkehren kann.
(3) Die Wahrheit des endlichen Menschen kehrt aus der Verführung durch das
Übermenschliche zurück in die Welt, die ihm nun durchstrahlt ist von dorther, aber
in Chiffern spricht. Der Wille zur Verwirklichung in der Welt ist der Wille zum Hören
der Chiffern. In Freiheit zu wirken und zu bauen, das erfährt seinen Sinn durch das
Strahlen der Chiffern. Das Leben in der Welt wird an jenen letzten Ursprung geknüpft
nur durch die Bereitschaft, im weltlichen Tun selber existentiell zu werden durch Emp-
fangen und Hervorbringen der Chiffern. Chiffern werden Realitäten als Sprache, und
Realitäten werden Chiffern.
Existenz verweigert die Flucht aus der Welt, aber ihr Dasein in der Welt wird zu dem
427 Lesen der Chiffern in der je eigenen geschichtlichen | Existenz. Daher kehrt sie zurück
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
(i) Im Transzendieren über alle Chiffern, hinaus nicht nur über die Welt, sondern
über die Wirklichkeit unserer Existenz im Dasein, gelangen wir in die große Leere, in
das All, das Nichts ist, in die Fülle, die ohne Offenbarung bleibt.
Scheint das einen Augenblick zu gelingen, so verschwinden Ich und Gegenstand,
Raum und Zeit. Der für unser Denken und Vorstellen unerfüllbare Raum reinen Lich-
tes ist erreicht, ohne daß etwas vom Licht getroffen würde. Unserer Zeitlichkeit und
Endlichkeit geht der Atem aus. Aus der übermenschlichen Bewußtlosigkeit oder Über-
bewußtheit kehren wir zurück zu den Chiffern.
426 | (2) Für den Menschen, der jenen überweltlichen Ort einen Augenblick erreicht
hat, geht doch sein Dasein in der Welt weiter. Wie ist dieses Dasein dann noch mög-
lich? Es gab die Menschen, die sich abkehrten von der Welt, in Wälder und Wüsten
gingen, wo sie starben, wenn nicht Menschen, die sie als Heilige verehrten, ihnen Nah-
rung gaben und sie sich das gefallen ließen.
Bleibt der Mensch, dem jene weltlose Erfahrung zuteil wurde, in der Welt, so wird
seine Erscheinung zweideutig. Wie ist zu unterscheiden das Übermenschliche und der
Schwindel? Der Verzicht auf Alles des Einen wegen erzeugt in dem, der so lebt, durch
seine Daseinsrealität eine für Andere geheimnisvolle, geglaubte Gestalt oder er wird
eine als Zauberer durchschaubare Figur. Aus dem Weg zum höchsten Ziel wird ein Ge-
schäft in der Welt.
Der Gang in das Nichts, in dem das Eigentliche beschlossen liegt, führt aus der Welt
hinaus, ohne noch den Rest eines Interesses an der Welt zu bewahren. Aber dieser Gang
erfordert, da das faktische Dasein mit Sinnen und Anschauen und Denken weiterläuft,
die höchste Anspannung, die erst durch diese selber in das wahre und wirkliche
Sichloslassen führt. Oder dieser Gang in das Nichts führt zur Verkehrung: In der Pas-
sivität des Sichgehenlassens verliert der Mensch den Ursprung. Statt die absolute Leere
des ewigen Nichts als Chiffer zu erfahren, gerät das Denken in einen dieser Erfahrung
fernen Zustand einer Betrachtung mit Begriffen, in der eine zur Spielerei gewordene
Spekulation als philosophisch gilt.
Es ist wunderlich, wie unerreichbare Wahrheit gleichsam berührt wird, und diese
Berührung sich so ganz in Betrug und Selbstbetrug verkehren kann.
(3) Die Wahrheit des endlichen Menschen kehrt aus der Verführung durch das
Übermenschliche zurück in die Welt, die ihm nun durchstrahlt ist von dorther, aber
in Chiffern spricht. Der Wille zur Verwirklichung in der Welt ist der Wille zum Hören
der Chiffern. In Freiheit zu wirken und zu bauen, das erfährt seinen Sinn durch das
Strahlen der Chiffern. Das Leben in der Welt wird an jenen letzten Ursprung geknüpft
nur durch die Bereitschaft, im weltlichen Tun selber existentiell zu werden durch Emp-
fangen und Hervorbringen der Chiffern. Chiffern werden Realitäten als Sprache, und
Realitäten werden Chiffern.
Existenz verweigert die Flucht aus der Welt, aber ihr Dasein in der Welt wird zu dem
427 Lesen der Chiffern in der je eigenen geschichtlichen | Existenz. Daher kehrt sie zurück