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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0535
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434

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

Der Wandel von der Unmittelbarkeit der naiven Selbstverständlichkeiten durch Re-
flektion zum universalen methodologischen Bewußtsein (dem Bewußtsein unserer
Wege), ist die Weise, wie alles, was wir denken und tun, in die Schwebe gelangt und
aufgefangen wird von dem umgreifenden Nichtgewußten (b).
a. Von der Leibhaftigkeit zur Chiffer
Ich fasse noch einmal zusammen:
Chiffern sind Sprache der Wirklichkeit der Transzendenz, nicht die Transzendenz
selber. Sie sind vieldeutig, nicht allgemeingültig. Ihre Sprache ist nicht hörbar für un-
seren Verstand, sondern nur für uns als mögliche Existenz.
Im historischen Bericht werden sie zu einem nach verschiedenen Gesichtspunkten
äußerlich geordneten Haufen von Phantasien. In der philosophischen Besinnung aber,
der die Berichte dienen, können wir durch ein mit ihrem Denken sich vollziehendes
inneres Handeln uns selbst vorbereiten oder erinnern. Nur in den je geschichtlich ein-
maligen Augenblicken ursprünglichen Vergewisserns und Entscheidens der Existenz
können die Chiffern ihre wirklich erhellende Kraft haben.
Das moderne wissenschaftliche Erkennen bringt uns in den ständig wachsenden
Besitz von Wissen und Können. Unter dem suggestiven Eindruck dieser Erfolge sieht
der unkritische Verstand in dem, was er erkennen und machen kann, alles, was ist.
Existenz und Transzendenz sind ihm inexistent, ein Nichts - von dem trunkene Phi-
losophen in Begriffskonstruktionen unverständlich reden.538
Überträgt der unkritische Verstand seine Weise des Wissens und Könnens in der Welt
auf das Ganze der Welt, dann macht er sich ein vermeintlich wissenschaftliches Welt-
bild. Die Folge ist die Entzauberung der Welt durch den Wissenschaftsaberglauben.
431 | Ein wissenschaftliches Weltbild gibt es nicht. Zum erstenmal in der Geschichte
haben wir heute durch die Wissenschaften selber völlige Klarheit darüber. Früher wa-
ren Weltbilder, die das Denken ganzer Zeitalter beherrschen konnten, wundersame
Chiffern, die uns heute noch ansprechen. Das sogenannte moderne Weltbild dage-
gen, begründet auf die Denkungsart, die in Descartes repräsentiert ist, das Ergebnis ei-
ner Philosophie als Pseudowissenschaft, hat nicht den Charakter einer Chiffer für Exis-
tenz, sondern einer mechanischen und dynamischen Apparatur für den Verstand.
Die Welt, in der wir wissenschaftlich erkennen, und die als Ganzes uns nie zum wissen-
schaftlichen Gegenstand werden kann, ist für das Erkennen zerrissen, wie sie auch immer
unter Ideen von Einheiten, in unendlichem Fortschreiten in sie eindringend, erforscht
werde. In kritischer Wissenschaftlichkeit leben wir ohne Weltbild. Existentiell haben wir
alle möglichen Weltbilder innerhalb der vieldeutigen Chiffernsprache zur Verfügung.
Wenn ein Theologe (Buhmann)'539 ein modernes Weltbild anerkennt, das nicht
rückgängig zu machen sei (da er Wissenschaft und wissenschaftsabergläubische
Denkungsart nicht unterscheidet), dann kann er auf den Gedanken kommen, den

Karl Jaspers, Rudolf Bultmann, Die Frage der Entmythologisierung, München, Piper, 1954.
 
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