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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0538
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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beginnt Plato in Syrakus nicht mit einem Staatsprogramm, um zu wahrer Gestalt des
Staats zu gelangen, sondern mit der Erziehung des Herrschers Dionysios, der zunächst
Mathematik lernt, um auf den Weg bis zur schließlichen Anschauung der Idee zu ge-
langen und dadurch erst fähig zu werden, den Staat zu lenken.543
Das gegenwärtige, für uns mögliche methodologische Bewußtsein steht unter wei-
teren Bedingungen, die Plato nicht kannte:
Erstens: Die moderne universale Wissenschaftlichkeit, in der sich das bei den Grie-
chen Zerstreute in der Idee eines offenen Kosmos der Wissenschaften zusammenfand.
Es ist die Aufgabe entstanden, Sinn und Grenzen der eigentlichen Wissenschaftlich-
keit klar zu fassen und im Erkennen zu verwirklichen.
Zweitens: Die seit dem 17. Jahrhundert in ununterbrochenem Fortschritt befind-
liche Natur- und Geschichtsforschung. Die Frage, was eigentlich Realität sei, ist zu
einer Grundfrage geworden.
Drittens: Die planmäßige Indienststellung des Forschens für das technische Machen,
die die kritische methodologische Frage aufwirft, was zu »machen« ist und was nicht.
(3) Die Frage nach der Methode spielt seit dem 17. Jahrhundert, seit Bacon und
Descartes und Leibniz eine beherrschende Rolle. Es war das Suchen nach der Methode,
mit der man alles erkennen und alles machen kann, was man will, der universalen und
absoluten Methode. Man wollte die schöpferische Methode statt des bis dahin gelten-
den nachhinkenden logischen Denkens.
Dies aber war keineswegs der Ursprung des heute möglichen methodologischen
Bewußtseins. Es befreite nicht durch Offenheit für Möglichkeiten, sondern zwang hin-
ein in die für absolut gehaltene Methode. Außer Sicht blieb die Methodenmannig-
faltigkeit, und die Bedeutung jeder Methode als einer besonderen für das immer par-
tikulare Erkennen, mit ihren jeweils bestimmten Voraussetzungen und mit der Grenze
ihrer Anwendbarkeit und Geltung.
Erst Kant vollzog die Befreiung, durch die wir in jedem geistigen Akt wissen können,
was wir tun. Seine Fragen: was kann ich wissen? was soll ich tun? was darf ich hoffen?
was ist der Mensch?544 werden | keineswegs auf derselben Ebene einer einzigen Methode
beantwortet, nicht aus dem gleichen Motiv gestellt. Wohl aber gehören alle diese Fra-
gen der einen umfassenden Vernunft im Kantischen Sinne an. Diese Vernunft hat ihre
bestimmten Gestalten bis hin zum »Geschmacksurteil«. Wenn wir erkennen, handeln,
fühlen, ist uns für unsere Freiheit nicht genug, daß wir es tun. Wir wollen in jedem geis-
tigen Akt zugleich wissen, was darin geschieht, was es bedeutet. Der Philosoph im
Künstler bringt das von ihm Geschaffene denkend zur Wahrheit. Nicht eine rationale
Reflexion, eine Rechthaberei des Verstandes ist die Instanz, sondern die Vernunft, die
in ständiger Selbstkritik das Hervorgebrachte prüft und wandelt an Maßstäben, die ih-
ren Ursprung in der Transzendenz haben, aus der der schaffende Geist geführt wird.
(4) Unser gegenwärtiges methodologisches Bewußtsein sei durch folgende Hin-
weise charakterisiert:

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