Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
465
In neueren Zeiten wurde die Forderung der Umkehr von Kierkegaard erhoben, ohne
Rücksicht auf die Welt, allein zum ewigen Heil des Einzelnen. Marx sah die Umkehr
in der Welt selber vom Kapitalismus zum Kommunismus als den notwendigen Gang
der Geschichte, deren Erkenntnis zugleich die Forderung an jeden Einzelnen war, ihn
zu fördern. Der durch seine gewaltigen Leistungen für Marx bewunderungswürdige
Kapitalismus erzeugt in sich Widersprüche, deren Aufhebung zum Kommunismus
führen. Kierkegaards Umkehr will und schafft keine Zukunft der Menschenwelt, er
denkt nur an den Einzelnen und die ewige Seligkeit. Marx’ Umkehr ist ein vermeint-
lich erkannter objektiver Vorgang dialektischen Umschlagens, er denkt nicht an den
Einzelnen und sein Gewicht: es gibt keine Einzelnen, sondern nur »Exponenten«.
Nicht die Zukunft, aber die Umkehr des Einzelnen, vieler Einzelner, die in Kommu-
nikation sich finden, ist im Philosophieren zu treffen.
Wir werden uns bewußt, die einzige Stätte in der Welt zu sein, an der Wahrheit
und Wirklichkeit sich zeigen. Dies Bewußtsein lenkt uns dorthin, wo Existenz den Ur-
sprung, gleichsam vor Kosmos und Geschichte, erfährt. Dann sind nicht mehr Kosmos
und Geschichte das letzte, sondern das, was sich an jenem Orte der Existenz zeigt. Ein
unbegreifliches Zutrauen zu dem Grunde vor der Welt macht in aller Daseinsabhän-
gigkeit den Menschen durch seine Existenz seinem Dasein überlegen, weil anderswo
geborgen. Diese Überlegenheit hat ihre Vorstufe schon dadurch, daß der Mensch von
allem, was ist, das doch sich selbst nicht weiß, wissen kann. Aber die Überlegenheit
bezeugt sich erst eigentlich durch die Verantwortung seiner Freiheit.
Dorthin zu gelangen, ist die Umwendung, die heute, wie von je geschehen, nun
aber für den Gang der Dinge Folgen, wie noch nie, haben kann. Die Umwendung ist,
unter den Bedingungen unseres Zeitalters in neuer Erscheinung, die eigentliche große
Möglichkeit.
Wir arbeiten uns heraus aus der Fesselung an die Form objektiven Natur- und Ge-
schichtswissens und aus der Fesselung an die Form der Subjektivität, in der jeder sein
Recht als dieses Sosein, als diese Meinung behauptet. Wir arbeiten uns heraus aus der
Verabsolutierung von Chiffern, die doch nie die Transzendenz selber sein können.
| Die Befreiung durch die ständig erneuerte Umkehr ist nicht mehr nur Befreiung
von etwas, sondern selber schon Freiheit des Ursprungs, aus dem wir leben.
Was aus dieser Umwendung, wie sie dem Menschen möglich ist, wird, ist nicht vor-
herzusagen. Es genügt nicht, gegen alle Schrecklichkeiten, die wir sehen und die uns
bevorstehen, uns zu beruhigen durch die Behauptung, der Mensch sei von Natur frei,
er könne sich in diesem seinem Wesen nicht ändern, daher werde seine Freiheit sich
stets wiederherstellen. Solche Behauptung als vermeintliches Wissen ist selber viel-
mehr freiheitswidrig. Die unerkennbare Kraft der im Ursprung der Transzendenz sich
gründenden Freiheit kann durch zutrauendes Scheinwissen von der Unzerstörbarkeit
der Freiheit gelähmt werden. Dieses Scheinwissen gibt die eigene Freiheit preis, um
sich auf die Freiheit anderer zu verlassen.
470
465
In neueren Zeiten wurde die Forderung der Umkehr von Kierkegaard erhoben, ohne
Rücksicht auf die Welt, allein zum ewigen Heil des Einzelnen. Marx sah die Umkehr
in der Welt selber vom Kapitalismus zum Kommunismus als den notwendigen Gang
der Geschichte, deren Erkenntnis zugleich die Forderung an jeden Einzelnen war, ihn
zu fördern. Der durch seine gewaltigen Leistungen für Marx bewunderungswürdige
Kapitalismus erzeugt in sich Widersprüche, deren Aufhebung zum Kommunismus
führen. Kierkegaards Umkehr will und schafft keine Zukunft der Menschenwelt, er
denkt nur an den Einzelnen und die ewige Seligkeit. Marx’ Umkehr ist ein vermeint-
lich erkannter objektiver Vorgang dialektischen Umschlagens, er denkt nicht an den
Einzelnen und sein Gewicht: es gibt keine Einzelnen, sondern nur »Exponenten«.
Nicht die Zukunft, aber die Umkehr des Einzelnen, vieler Einzelner, die in Kommu-
nikation sich finden, ist im Philosophieren zu treffen.
Wir werden uns bewußt, die einzige Stätte in der Welt zu sein, an der Wahrheit
und Wirklichkeit sich zeigen. Dies Bewußtsein lenkt uns dorthin, wo Existenz den Ur-
sprung, gleichsam vor Kosmos und Geschichte, erfährt. Dann sind nicht mehr Kosmos
und Geschichte das letzte, sondern das, was sich an jenem Orte der Existenz zeigt. Ein
unbegreifliches Zutrauen zu dem Grunde vor der Welt macht in aller Daseinsabhän-
gigkeit den Menschen durch seine Existenz seinem Dasein überlegen, weil anderswo
geborgen. Diese Überlegenheit hat ihre Vorstufe schon dadurch, daß der Mensch von
allem, was ist, das doch sich selbst nicht weiß, wissen kann. Aber die Überlegenheit
bezeugt sich erst eigentlich durch die Verantwortung seiner Freiheit.
Dorthin zu gelangen, ist die Umwendung, die heute, wie von je geschehen, nun
aber für den Gang der Dinge Folgen, wie noch nie, haben kann. Die Umwendung ist,
unter den Bedingungen unseres Zeitalters in neuer Erscheinung, die eigentliche große
Möglichkeit.
Wir arbeiten uns heraus aus der Fesselung an die Form objektiven Natur- und Ge-
schichtswissens und aus der Fesselung an die Form der Subjektivität, in der jeder sein
Recht als dieses Sosein, als diese Meinung behauptet. Wir arbeiten uns heraus aus der
Verabsolutierung von Chiffern, die doch nie die Transzendenz selber sein können.
| Die Befreiung durch die ständig erneuerte Umkehr ist nicht mehr nur Befreiung
von etwas, sondern selber schon Freiheit des Ursprungs, aus dem wir leben.
Was aus dieser Umwendung, wie sie dem Menschen möglich ist, wird, ist nicht vor-
herzusagen. Es genügt nicht, gegen alle Schrecklichkeiten, die wir sehen und die uns
bevorstehen, uns zu beruhigen durch die Behauptung, der Mensch sei von Natur frei,
er könne sich in diesem seinem Wesen nicht ändern, daher werde seine Freiheit sich
stets wiederherstellen. Solche Behauptung als vermeintliches Wissen ist selber viel-
mehr freiheitswidrig. Die unerkennbare Kraft der im Ursprung der Transzendenz sich
gründenden Freiheit kann durch zutrauendes Scheinwissen von der Unzerstörbarkeit
der Freiheit gelähmt werden. Dieses Scheinwissen gibt die eigene Freiheit preis, um
sich auf die Freiheit anderer zu verlassen.
470