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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0571
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

Sie ist der Weg jedes Einzelnen, auf dem er sich nicht der Verantwortung vor der
Wahrheit durch das Bekenntnis eines Glaubensinhalts entzieht. Wissend und fragend
bezeugt er sich durch sein Urteil und seine Lebenspraxis in der Kommunikation. Be-
kenntnis als solches ist eine unwahre Form, weil es die wirkliche Aufgabe des Men-
schen verschleiert und seiner wirklichen Situation ausweicht.
Eine Grundverkehrung philosophischen Denkens ist, durch betrachtende Erkennt-
nis schon haben zu wollen, was nur durch eigenes inneres und äußeres Handeln wirk-
lich wird.
Der philosophische Gedanke, wirklich vollzogen, ist schon ein inneres Handeln.
Wenn er auch abgleitet in ein bloßes Denken von Etwas, so ist er doch ständig wieder-
herzustellen.
Aber auch im inneren Handeln allein ist die Freiheit noch nicht verwirklicht. Das
geschieht erst in der Kommunikation aller Weisen und Stufen ihrer Möglichkeit.
Philosophie als Lehre kann aufzeigen und hinweisen. Sie kann die Horizonte erhel-
len und dort über das Wißbare hinaus einen Raum gewinnen durch Denken der Chif-
fern. Dies ist nur die Befreiung aus der Dumpfheit, aus den Irrungen, aus der täuschen-
den Unbewußtheit. Jeder einzelne Mensch entscheidet erst durch sein Selbstsein, in
dem er sich geschenkt wird, ob er diese Freiheit erfüllt.
(6) Wer sich auf das gründet, was im Philosophieren ihm entgegenkommt, scheint
auf etwas zu bauen, das nichts ist. Er hört, die Religion sei es, die Offenbarung, die die
Wahrheit sei, allein frei mache. Er sieht sich angegriffen als ein Verruchter oder be-
klagt in seiner gnadenlosen Armut und Verlorenheit. Ein moderner katholisch gläu-
biger Humanist, mit Neigung zur Philosophie, aber in resignierter Verfassung, kann
476 schreiben: »Die Philosophie gleicht einem Efeu, der aus | dem Erdreich einer alten Ei-
che, der Religion lebt, diese, selbst zum Baum erwachsen, umarmt und erstickt, aber
mit ihr abstirbt« (Ludwig Curtius, Torso S. 295).584 Wir widersprechen: Philosophie
steht angesichts der Religion und Offenbarung, aber aus eigenem Ursprung. Sie stirbt
nicht ab, wenn der Offenbarungsglaube absterben würde. Sie ist älter. Sie ist jederzeit.
In dem weiten Sinne der Vergewisserung des Unbedingten, der Erhellung und Erzeu-
gung des Ernstes, der Freiheit im Bunde mit der Transzendenz kann sie selber Religion
heißen. Man hat sie, wie ich meine verwirrend, philosophische Religion oder religiöse
Philosophie genannt. Sie ist nicht Feind des Religiösen, vielmehr ihm verwandt. Aber
sie ist durchaus nicht Säkularisierung der Religion, sondern eigener Ursprung mit dem
Ursprung des Menschseins selber.
Sie hilft nicht, wie der Offenbarungsglaube zu helfen verspricht und behauptet. Sie
hilft durch die Wahrhaftigkeit einer Denkwelt dem, der in unmittelbarem Bezug auf
Transzendenz, sich selbst geschenkt, sich zu helfen vermag.
 
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