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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0570
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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Ich geh, ich weiß nicht wohin,
Mich wundert’s, daß ich fröhlich bin.
Fröhlichkeit, Freude, wenn sie nicht nur der schöne Lebensjubel vitaler Kraft ist und
mit ihr dahinschwindet, wenn sie vielmehr die Gewißheit des ewigen Ursprungs ist,
dann ist sie in erfüllter Gegenwärtigkeit, solange wir da sind, immer noch und immer
wieder möglich.
Wieder wäre es falsch, dies nun für die einfache endgültige Wahrheit zu halten, die
allgemeingültig für alle und als Wirklichkeit in jedem Menschen sei. Philosophierend
sehen wir das Andere im Menschen. Wir blicken ins Äußerste, aber überblicken es nicht.
Daß der Mensch, nur der Mensch sich das Leben nehmen kann in hellem, reinem
Entschluß, ohne Trübung durch Affekt, vielmehr sich selber treu, darin liegt eine
Würde.
Alle Despotien, alle Kirchen, alle Gewalt, die von Menschen über Menschen aus-
ging, den Anspruch erhebend auch auf ihre Seele, haben den Selbstmord perhorres-
ziert: hier bezeugte sich die Freiheit des Einzelnen, des Menschen als Menschen, der
sich der Unterdrückung und dem vernichtenden Leiden entzieht. Die Bereitschaft zum
Selbstmord macht frei.
Der Selbstmörder hat die Grenze überschritten. Vor dieser Grenze fragen wir, aber
am Ende bleiben wir in Schweigen und Ehrfurcht stehen.
Der Würde, sich im Äußersten selbst den Tod geben zu können, steht die andere
Würde gegenüber, die dem Menschen durch keine ihm zugefügte Schmach und
Schande, durch kein noch so schreckliches Leiden verlorengeht. Ich spreche von Je-
sus, dem Menschen, nicht von der Chiffer Christus. Diese andere »würdelose« Würde
läßt offenbar werden, was wir Menschen eigentlich sind und sein können. Sie zeigt
uns unsere Unwahrhaftigkeit, die schon dann wirksam ist, wenn wir das, worin wir
unbedingt zu existieren glauben, für das einzig wahre Menschsein, wenn wir unsere
Würde für die einzige Würde halten. Was der Mensch sei und sein könne, bleibt, je tie-
fer die Einsicht gelangt, um so offener. Jesus ließ das Fragwürdige in allen Gesetzen
und Ordnungen offenbar werden, zeigte die Kraft der Liebe, bewährte seine völlige
Weltfreiheit in dem wahrhaftig erlittenen und nicht stoisch verschleierten Sterben
durch die qualvoll lang dauernde Hinrichtung, wie sie von Menschen an Menschen
auf mannigfache | Weise durch die Jahrtausende bis heute in unzähligen Fällen voll- 475
zogen worden ist.
(5) Die Befreiung durch Philosophie spricht sich in Sätzen aus, die Negationen sind.
Diese aber vernichten nicht die Existenz, sondern öffnen ihr den Raum. Das höchste
Wissen der Philosophie spricht sich als Nichtwissen aus, das aber nicht das anfäng-
liche, zugunsten des Wissens aufzuhebende Unwissen, sondern das auf dem Grunde
allen Wissens, erst an dessen Grenzen sich vollendende Nichtwissen ist.
Soweit Philosophie in ihrem Negieren die Kraft der Befreiung ist, wird sie, kraft der
Wahrheit dieser Befreiung, auch der Weg, die Freiheit zu erfüllen.
 
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