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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0582
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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fenbarungsglauben sterbend bezeugt, ergreifend für die Überlebenden. Gewiß ist, daß
unter Zeitgenossen ein Glaubensernst hohen Ranges bezeugt ist, und daß der biblische
Offenbarungsglaube keinen Vorrang hatte.
Unsere gegenwärtige Frage aber meint nicht diesen Ernst, der allen Menschen aus
jeder geistigen und geschichtlichen Herkunft eigen sein kann, sondern die besondere
Welt des biblischen Glaubens als die Überlieferungskontinuität, in der Menschen teil-
gewinnen an dem Ernst ihrer Ahnen.
| Kann der biblische Glaube sich aus seinem Ursprung neu gestalten zu dem reinen 490
Ernst, der nicht im Bekennen, sondern in der Seelenverfassung, im Handeln und in den
faktischen Entscheidungen liegt? Zu diesen kann in höchster Gefahr das Bekennen ei-
nes »Märtyrers« gehören, nicht aber das gefahrlose, beruhigende, als verdienstvoller
Akt gefühlte, oft mit einer verderblichen Aggressivität verbundene Bekennen aller.
Kann das Pneuma wieder eine Macht werden, die Menschen in Gemeinschaft er-
fahren als gegenwärtigen Ursprung, der in Helligkeit, in Maß und Besonnenheit so er-
greift, daß der Mensch als Einzelner sich eins weiß mit dem Umgreifenden, das ihn
mit den andern verbindet, als ob die Fülle des Seins in sie ströme?
Nicht eine Verwandlung der Substanz biblischen Glaubens, sondern die Verwand-
lung ihrer Erscheinung in Glaubensaussagen ist die Aufgabe. Was die Substanz sei, tritt
zwar nur durch solche Aussagen in die Mitteilbarkeit. Wo aber diese Aussage sich löst
von der Substanz, da erkennt der ursprünglich Glaubende seinen Glauben nicht wie-
der. Vorstellungsweisen, Denkformulierungen, Chiffern, die unter anderen geistigen
Voraussetzungen der geschichtlichen Situation einmal angemessen waren, sind es jetzt
nicht mehr. Es ist kein Fortschritt der Substanz, sondern ein Wandel ihrer Einkleidung
notwendig, wenn sie selbst sich erhalten soll.
(1) Umgang mit der Bibel
Es gibt eine theologische Sachkunde, erstens in der gewaltigen dogmatischen Arbeit
der Jahrtausende, zweitens im historischen Wissen von den Bibeltexten (eingeleitet
durch Spinoza, dann weiter entwickelt seit dem 18. Jahrhundert).597 Es scheint ein
Übermut, in dieser Welt von Sachkunde ein Wort mitreden zu wollen, wenn man
»Laie« ist und »sachunkundig«.
Aber was hier geschehen ist und geschieht, geht uns alle an. Daher braucht man
nicht eine esoterische theologische Wissenschaft, sofern sie als Autorität diktieren
will, zu respektieren, außer in dem, was man selber einsieht. Da das Wesentliche ein-
fach ist, kommt es darauf an, daß es getroffen und nicht in der Masse unwesentlicher
Kenntnisse ertränkt wird.
(a) Die Bibel ist das Depositum der religiösen, mythischen, geschichtlichen, exis-
tentiellen Erfahrungen eines Jahrtausends. Ihre in | der literarischen Form ungemein 491
verschiedenartigen Schriften sind im Laufe der Zeiten aus einer viel umfangreicheren
Literatur ausgewählt und schließlich als ein zum Kanon erklärtes Ganzes abgeschlos-
 
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