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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0591
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

Die Kirche hat sich langsam, beginnend mit der Apostelgemeinschaft und mit den Ge-
meindegründungen entwickelt. Jesus ist nicht ihr Stifter. Die Kirche hat mit Jesus zu
tun, insoweit er als Christus geglaubt wurde. Dieser Glaube trat erst nach Jesu Hinrich-
tung auf.
Die Kirchen trugen das Feuer mit, das ihre Verkrustungen und ihre Weltanpassun-
gen wieder und wieder durchbrach. Durch Jesus kommt zur Geltung, was die Kirchen
verschleiern, während sie sich auf ihn gründen: die Frage an Schicksal und Möglich-
keit des Menschen. Durch die Existenz des Menschen Jesus wurde die Frage in einer
nie erreichten Tiefe gestellt aus der Bindung an Gott. Frage zugleich und Antwort la-
gen in der Verwirklichung eines Menschen, der zu sagen vermochte, was er sah,
glaubte, forderte, was er lebte und erlitt.
Die Aufrichtigkeit des Menschen Jesus mißt alle Realitäten an dem eigentlichen
Menschsein im Reiche Gottes. Unmittelbar vor dem Weitende sich wissend, ist Jesus
selbst schon Zeichen der Wirklichkeit dieses Reiches.
Für Jesus, den letzten der jüdischen Propheten, ihnen verbunden, schwanden da-
hin der nationale Gedanke, der Gesetzesgedanke, die Organisation von Priestern und
Riten, Theologien wurden gleichgültig.
Juden, die an Ungerechtigkeit und Lieblosigkeit unendlich Leidenden, die immer
wieder Verfolgten, Gequälten, Gemarterten und Erschlagenen, die, im Bunde mit
Gott, in Resten doch immer sich behaupteten, allein kraft ihres Glaubens, ein Wun-
der der Geschichte, haben in Jesus ihre große, menschliche, sie gleichsam vertretende
Gestalt hervorgebracht. Sie vertritt das Menschenschicksal und das jüdische Schick-
sal in einem.
Jesus als Mensch ist eine Chiffer des Menschseins, die sagt: Wer wie er lebt und
denkt und wahr ist ohne Einschränkung, muß durch Menschen sterben, weil die Re-
alität des unwahrhaftigen Menschseins ihn nicht erträgt.
(2) Diese Chiffer aber wird in weiterer Deutung angeeignet:
Die Chiffer des Scheiterns des wahren Menschen wird zur uralten Chiffer des sich
opfernden Gottes.
502 | Jesus ist Gottes Sohn, Christus, Gott selber, der aus Liebe den Menschen aus sei-
ner Verlorenheit in der Sünde retten will, sich selbst in Menschengestalt opfernd.
Die Chiffer wird Vorbild zur Nachfolge. Der Mensch gelangt zu seinem ewigen Heil,
indem er sich wie Jesus-Christus opfert oder geopfert wird. Das aktive Märtyrerwerden
und das passive Erleidenmüssen des Äußersten finden ihre Ruhe in der Anähnlichung
an Gottes Tat.
Der Nachfolge aber entzieht sich jeder Mensch, der in der Welt bauen und wirken
will. Doch auch ihm wird geholfen. Denn, ohne selbst sich zu opfern oder geopfert zu
werden, wird er gerettet durch den Glauben, daß Gott-Christus sich stellvertretend für
ihn geopfert hat, gekreuzigt wurde. Er findet seine Rechtfertigung allein durch den
Glauben an diese Tat Christi. Erstaunlich: nicht ich bringe das Opfer, sondern der
 
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