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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0608
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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ihrer Wahrheit und Wirklichkeit des Wagnisses der uneingeschränkten Freiheit be-
dürfen.
(d) Ich kehre zurück zur Frage: Wie kann es heute möglich sein, nach Kierkegaards
Klärungen protestantischer Pfarrer zu werden?
Die erste Voraussetzung ist der Glaube, mag er philosophischer oder Offenbarungs-
glaube sein. Er läßt sich nicht wollen, nicht zeigen, nicht bekennen.
Unerläßlich ist dann die Wahrhaftigkeit. Das Eingeständnis, das Kierkegaard ver-
langte, ist nicht genug. Ebensowenig bedeutet die allgemeine Erklärung des Ungenü-
gens und der Schuld. Es kommt für die Wahrhaftigkeit vor allem auf die Einsicht und
das Eingeständnis in konkreter Situation, in bezug auf bestimmte Handlungen und
Unterlassungen, auf bestimmtes Sprechen und Schweigen an.
Glaube und Wahrhaftigkeit vermögen die einfachen Forderungen der Zehn Gebote
und die Grundverfassung des »Vater unser« aus dem Ursprung im Mensch als Men-
schen einzuprägen dem täglichen Dasein, sie zu schützen vor Halbheit und Lässigkeit.
| Der Pfarrer erneuert in der Zerstreutheit, zu der das Weltleben verführt, ständig 523
den Blick auf die ewigen Dinge. Er bewahrt und erhellt den Raum, in dem sie durch
Chiffern Sprache haben und leuchten. Er sorgt, daß die Einzelnen in dem Raum zu
Hause bleiben, wo solche Sprache stattfindet.
Der Pfarrer steht unter dem Anspruch, von ihnen so zu reden, daß sie glaubwürdig
sind. Das gelingt ihm nur, wenn er selbst glaubwürdig ist. Nur dann kann er die Bibel
so rein zur Sprache bringen, daß sie im Ernst gehört wird.
Dann können sich die Glaubenden auch mit dem gegnerischen Ernst verbinden,
mit dem in Gemeinschaft zu treten die Voraussetzung ist, um unter die umgreifende
Macht der Transzendenz zu gelangen.
Der Pfarrer soll mitleben und mitwirken in den Überlieferungen. Er soll mit den
Einzelnen der Gemeinde als Schicksalsgefährte vor der Gottheit sich wissen, nicht sich
über sie stellen.
Daß er auch bereit sein muß, Autorität für die Schwachen zu sein, sie zu halten
durch das feste Wort, »Genüge« zu tun den Gaben jeder Stufe und Weise des Mensch-
seins, ohne die Voraussetzung der inneren Gleichheit aller Menschen zu verlieren,
bringt ihn in eine verwirrende Situation:
Leicht ist es, sich unter Berufung auf Redlichkeit ihr lieblos zu entziehen, das heißt
bei dem Menschen, der noch nicht frei sein kann, seine vollkommene Freiheit voraus-
zusetzen, ihn zur Freiheit zu zwingen, wo er an die Hand genommen sein will. Noch
leichter ist es, die Autorität für sich in Anspruch zu nehmen, Ruhe zu geben durch Ver-
sicherungen, deren ein Mensch eigentlich nicht fähig ist, und Gehorsam zu verlangen.
Schwer ist es, die Größe der Aufgabe zu sehen und sie trotzdem festzuhalten, weder
durch Blindheit für sie dem Leichtsinn zu verfallen noch sich von ihrem Anspruch
erdrücken zu lassen. Nur dann ist der Weg zu finden, auf dem der Beruf nicht zur Un-
redlichkeit, das Reden nicht zum Theater, das Handeln nicht zum Betrug wird.
 
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