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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0609
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508

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

Es ist schwer, das ständig Unzureichende sich eingestehen zu müssen. Der Beruf
des Pfarrers fordert von ihm, dieser Situation gewachsen zu sein.
Die Aufgabe des Pfarrers wird in der Stille gestellt und erfüllt. Sie ist ohne Lärm. Sie
liegt dort, wo im Ursprung die menschliche Existenz sich entscheidet.
524 | Der Pfarrer kann den Mut verlieren vor der Höhe des Anspruchs. Er kann Zutrauen
gewinnen nur durch das Maß, in dem er spürt, daß er auf dem Wege ist, den Eigenwil-
len in sich zu tilgen, die Daseinsinteressen unter unverletzliche Bedingungen zu stel-
len, zum Opfer bereit zu sein, allen Ästhetizismus und alle Eitelkeit hinter sich zu las-
sen. Der protestantische Pfarrer hat keinen priesterlichen unpersönlichen Charakter
indelebilis. Er selbst, nicht sein Amt ist wesentlich. Er wirkt durch seine persönliche
Wahrhaftigkeit, sein Ethos, seine Glaubenskraft.645
(e) Die Kirche ist die weltliche Organisation, in der der Umgang der Glaubenden
miteinander unter Mitwirkung des Pfarrers stattfindet. In diesem Miteinander wird
die glaubende Grundverfassung wachgehalten. Versagt die Kirche, so ist der Einzelne
ganz auf sich und seinen Nächsten zurückgeworfen, um allein im philosophischen
Glauben zu leben. Dieser muß als solcher ohne die Organisation bleiben, vermöge der
die großen Gemeinschaften der Menschen sich konsolidieren. Im philosophischen
Glauben kann der Einzelne nur durch die soziologisch ungeformte Überlieferung der
großen Philosophen sich finden.
Wird der Ort betreten, das Adyton, das auch ohne die Geländer der Kirchen zugäng-
lich ist, aber durch die Kirchen gleichsam sichtbar offensteht, dann darf ein Mensch,
der die Welt nicht verlassen will und faktisch sein Dasein durch diese Welt hat, sich
nicht verweigern, heute in der Welt zu leben, wie sie jetzt ist, in die wir hineingeboren
sind, die unabsehbarer Verwandlung zugänglich ist. Zur Kirche wird man dann, wie
sie auch sei, positiv stehen in dem protestantischen Sinne, an ihrer Verwandlung aus
dem immer neu zu ergreifenden Ursprung teilzunehmen.
Wer es wagt, den Pfarrerberuf zu ergreifen, weil er sich berufen glaubt, bezeugt ei-
nen im Interesse der Gemeinschaft höchst wünschenswerten Willen. Er trotzt den
heute öffentlich geltenden Wertschätzungen. An diesen Pfarrern, nicht an den Theo-
logen liegt es, was aus der Kirche wird. Die theologischen Fakultäten vermitteln Kennt-
nisse, aber erzeugen keinen Glauben. Sie sind ein dienendes Hilfsmittel für die Pfarrer,
die allein über den Gang der kirchlichen Wirklichkeit entscheiden. Was durch Orga-
nisation der Kirchen und durch dogmatisches und historisches Wissen entsteht, ist
nicht diese Wirklichkeit.
Es ist heute leichtgemacht, Kirchen und Pfarrer zu verachten, sie einzuschätzen als
525 einen Beruf wie andere, der unter Schutz der Stan|desinteressen zur Pflege bürgerlich-
konventionellen, theologisierten Christentums gegen anständige Bezahlung besorgt
wird, ehrenwert wie jede andere Tätigkeit, nur mit dem ungeheuren, niederschlagen-
den und beschwingenden Anspruch, daß man es keineswegs wie andere Berufe mit
endlichen Zwecken zu tun hat. Es ist leicht, Nein zu den Kirchen zu sagen und nichts
 
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