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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0630
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Philosophie und Offenbarungsglaube

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gehen, aber nur Ansätze waren, ist diese Entwicklung erst seit dem 17. Jahrhundert als
kontinuierlicher Fortschritt des wissenschaftlichen Erkennens da.
|Zahrnt 28
In dieser Situation wirkt Ihr Buch wie ein einziger großer Ruf zur Umkehr, und als die
beiden Wege, auf denen diese Umkehr geschehen kann, zeigen Sie nun eben den Of-
fenbarungsglauben und den philosophischen Glauben. Dabei machen Sie keinen Hehl
daraus, daß der Offenbarungsglaube für Sie persönlich als Möglichkeit nicht in Frage
kommt. Sie schreiben wörtlich: Ich glaube nicht an Offenbarung und habe es nie, soweit
mir bewußt ist, auch nur der Möglichkeit nach getan.668 Und an anderer Stelle: Daß mein
Philosophieren zum Offenbarungsglauben führen solle, ist ganz und gar nicht meine Absicht.
Ich selber kann nicht anders als mit Kant denken: Wäre Offenbarung Realität, so wäre sie das
Unheil für die geschaffene Freiheit des Menschen.669 Und schließlich noch einmal: Hier liegt
ein Entweder-Oder: Wahrhaftigkeit fordert das Eingeständnis, daß ich nicht an Offenbarung
glaube.670 Was ist das entscheidende Hindernis auf seifen des Offenbarungsglaubens,
das es Ihnen unmöglich macht, diesen Glauben mitzuvollziehen?

|Jaspers 29
Der Glaube an Offenbarung hat doch den Grundcharakter, daß er als Glaube nicht ge-
wollt und nicht eingesehen werden kann. Wer glaubt, glaubt durch Gnade. Ich habe
diese Gnade nicht erfahren. Es drängt auch in mir nichts dazu, um diese Gnade zu su-
chen. Darum ist auch bei mir kein Hindernis, das dem Offenbarungsglauben entge-
gensteht. Der Glaube ist einfach da als Offenbarungsglaube, und ich sehe mit Betrof-
fenheit, aber von mir aus ist der Offenbarungsglaube nicht zu bejahen und nicht zu
verneinen, sondern eine gewaltige Wirklichkeit. Der Offenbarungsglaube spricht sich
aus. Er sagt, was er als Gnade erfährt. Dann spricht er sehr verschiedene Inhalte dieser
Glaubenserfahrung aus; je nach dem Inhalt des so Gesagten verwerfe ich oder eigne
ich an. Aber dann ist es fast gleichgültig, ob diese Inhalte der Offenbarung entstam-
men oder nicht. Die Offenbarung der Zehn Gebote an Mose, die er dem Volke mitteilt,
spricht ihrem Inhalte nach so entschieden, so großartig für immer, daß bei mir nicht
der leiseste Widerstand ist.671 Offenbarung, die einen christlichen Glauben | darin 30
gründet, daß ich mich als Sünder erkenne, verwerfe und mit meinem ganzen Wesen
dann mir im Bewußtsein des Sünders durch Gnade geschenkt werde, das ist etwas, was
ich mit meinem Wesen schlechthin mit Verwundern ansehen und gar nicht anneh-
men kann. Ich spüre vielmehr den eingeborenen Adel, wie es bei Pelagius heißt, und
seine Forderung und verstehe mein unumgängliches Schuldigwerden.672 Ich verstehe
das als Grundzug des Menschseins, als eine seiner Grenzsituationen. Ich kämpfe nicht
gegen und nicht für die Offenbarung, ich kämpfe auch nicht grundsätzlich gegen den
 
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