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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0639
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Philosophie und Offenbarungsglaube

die Betonung des Schwebenden auf der einen Seite und die Betonung des Unbeding-
ten auf der anderen? Schwebe und Unbedingtheit - wie geht das zusammen? Wer auch
nur ein wenig von Karl Jaspers kennt, weiß, daß er damit doch wohl in das Zentrum
seines Philosophierens hineinfragt.
Jaspers
Fast wenigstens! Das Zentrum möchte ich es nicht nennen, sondern den Punkt, der
am angreifbarsten scheint und der doch unerläßlich festzuhalten ist. Kurz so: Schwebe
ist in den Aussagen, in den vermeintlichen Allgemeingültigkeiten aller nicht-wissen-
schaftlichen Wahrheit. Die Unbedingtheit liegt in der Handlung und im Ernst der sie
gründenden Lebensverfassung, in der inneren Haltung des Menschen. Sie wissen so
gut wie ich, daß - psychologisch gesehen - sehr viele Menschen anders handeln, als
sie reden, anders handeln, als sie bekennen. Existentiell gesprochen ist es die Flucht
aus der Verantwortung für das Tun der Wirklichkeit, der geschichtlich gegenwärtigen
54 Existenz in die Bequemlichkeit des allgemein-gültigen Bekennens. Der Glaube erweist
und bewährt seinen Sinn in dem, was aus ihm heraus Menschen tun. Der Glaube oder
Glaubensinhalt an sich besteht nicht zu Recht ohne die Wirklichkeit des Menschen,
der ihn lebt. Wie Subjekt und Objekt im Grundwissen, gehören hier Existenz und
Glaube zusammen und lassen sich nicht trennen. Daher ist Voraussetzung der Wirk-
lichkeit, des Wahrwerdens, die Schwebe im Gedachten, die Entschiedenheit des Ent-
schlusses und der Verwirklichung im Tun.
Zahrnt
Der schwebende Charakter der Wahrheit findet seinen Ausdruck in der Sprache der
Chiffern. Das Unbedingte, Umgreifende, Göttliche, die Transzendenz geht nie unmit-
telbar in diese Welt und dieses Leben ein, sondern immer nur in Chiffern. Hier liegt -
wie Sie selbst schreiben - das Schwergewicht dessen, was Sie in Ihrem Buch erörtern.
Wieder stellen wir einige Kernsätze voran.
55 Chiffern leuchten in den Grund der Dinge. | Sie sind nicht Erkenntnis. Was in ihnen ge-
dacht wird, ist Vision und Deutung. Sie entziehen sich allgemeingültiger Erfahrung und Ve-
rifizierbarkeit. Ihre Wahrheit liegt im Zusammenhang mit der Existenz. Die Zugkraft von der
Transzendenz her auf Existenz wird in ihnen Sprache. Sie öffnen Räume des Seins. Sie erhel-
len, wozu ich mich entschließe...
Die Chiffern haben einen ehrwürdigen Charakter. In ihren geschichtlichen Gestalten ha-
ben Menschen die Wahrheit der Wirklichkeit erblickt. In ihrem Lichte und unter ihrer Füh-
rung haben sie gelebt...
Wir kennen die Chiffern in Sammlung und Ordnung der Mythologien und Offenbarun-
gen. Aber dies äußere Kennen wird innerlich, wenn wir in der eigenen Existenz von ihnen be-
 
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