Philosophie und Offenbarungsglaube
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Jaspers
Sie kommen auf den entscheidenden Punkt. Sie sprechen ihn rückhaltlos aus. Das
danke ich Ihnen. Wir gehen nicht vorsichtig herum um das, was man lieber unter
Tabu halten möchte. Ich müsse mir klar sein, sagen Sie, daß mit der Verwerfung des be-
sonderen Anspruchs der christlichen Offenbarung das Wesen der christlichen Offen-
barung und des christlichen Glaubens selber aufgelöst werde. Denn der Glaube, daß
Gott sich in Jesus Christus aller Welt offenbart hat, sagten Sie, gehört augenschein-
lich zum Glauben selbst. Und dann sagen Sie: Ich kann nicht an|ders als dies feststel- 89
len, und Sie zitieren Worte, die ich vor 15 Jahren einmal über meine Gespräche mit
Theologen geschrieben habe.690 Diese Worte, denke ich, treffen für unser Gespräch
nicht mehr zu, das heißt, Sie wollen die Kommunikation auch an dieser Stelle nicht
abbrechen. Darum erlauben Sie mir, daß ich Ihnen antworte auf eine nicht ganz un-
bedenkliche Weise.
Zunächst: Wenn ich richtig informiert bin, ist für die Quäker der Glaube an die
Gottmenschheit Christi freigestellt. Man darf, aber man muß nicht diesen Glauben
haben, wenn man Quäker sein will. Die Unitarier - wie ich höre, in Amerika noch eine
starke Gruppe - leugnen die Gottmenschheit Jesu. Ich denke nicht, daß Sie diesen
Menschen absprechen wollen, Christen zu sein.
Dann: Die Benennung »Christ« beruht darauf, daß im Ursprung des Glaubens, der
schon im ersten Jahrhundert zur Kirche wurde, in der Tat die Gottmenschheit im Mit-
telpunkt stand und immer wieder - bis heute - in den Mittelpunkt gerückt worden ist.
Ich habe daher vorgeschlagen, von »biblischer Religion« zu reden und die Konfessio-
nen in ihrer Vielfachheit als | Erscheinungsweisen dieser religiösen Substanz aufzufas- 90
sen.691 In der Realität der Welt haben wir durch eine Konfession hindurch, der wir ja
selber angehören, Anteil am biblischen Glauben, der substantiell ohne Begriff, ohne
Bekenntnis alle auf irgendeine Weise eint. Doch all das sind doch vergleichsweise äu-
ßerliche Erörterungen.
Erlauben Sie mir, der mir entgegengebrachten Gesinnung entsprechend, die Frage
meines Zweifels. Wollen wir, Sie und ich, uns auf Feststellungen beschränken, die doch
jeweils für den anderen in dem Bereiche jener äußerlichen Erörterungen liegen, denen
ich eben nachging? Sind Feststellungen überhaupt möglich, wo es auf das Innerste des
Glaubens ankommt? Müssen wir nicht auf Feststellungen überall da verzichten, wo
diese Feststellungen nicht etwa empirische Tatsachen oder logisch zwingende Gedan-
kengänge betreffen? Würden Sie sprechen von der Feststellung, mit der Gottmensch-
heit Jesu Christi würde der Glaube selber aufhören, so habe ich Ihnen anfänglich his-
torisch durch Beispiele widersprochen, und jetzt würde ich wieder zu widersprechen
wagen, weil sich das, was Sie meinen, auch wenn es wahr ist, sich der Form einer | Fest- 91
Stellung entzieht. Ist es notwendig, daß wir uns mit der von Ihnen ausgesprochenen
Feststellung, eben diesem Glauben an Jesus Christus als den Gottmenschen, begnü-
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Jaspers
Sie kommen auf den entscheidenden Punkt. Sie sprechen ihn rückhaltlos aus. Das
danke ich Ihnen. Wir gehen nicht vorsichtig herum um das, was man lieber unter
Tabu halten möchte. Ich müsse mir klar sein, sagen Sie, daß mit der Verwerfung des be-
sonderen Anspruchs der christlichen Offenbarung das Wesen der christlichen Offen-
barung und des christlichen Glaubens selber aufgelöst werde. Denn der Glaube, daß
Gott sich in Jesus Christus aller Welt offenbart hat, sagten Sie, gehört augenschein-
lich zum Glauben selbst. Und dann sagen Sie: Ich kann nicht an|ders als dies feststel- 89
len, und Sie zitieren Worte, die ich vor 15 Jahren einmal über meine Gespräche mit
Theologen geschrieben habe.690 Diese Worte, denke ich, treffen für unser Gespräch
nicht mehr zu, das heißt, Sie wollen die Kommunikation auch an dieser Stelle nicht
abbrechen. Darum erlauben Sie mir, daß ich Ihnen antworte auf eine nicht ganz un-
bedenkliche Weise.
Zunächst: Wenn ich richtig informiert bin, ist für die Quäker der Glaube an die
Gottmenschheit Christi freigestellt. Man darf, aber man muß nicht diesen Glauben
haben, wenn man Quäker sein will. Die Unitarier - wie ich höre, in Amerika noch eine
starke Gruppe - leugnen die Gottmenschheit Jesu. Ich denke nicht, daß Sie diesen
Menschen absprechen wollen, Christen zu sein.
Dann: Die Benennung »Christ« beruht darauf, daß im Ursprung des Glaubens, der
schon im ersten Jahrhundert zur Kirche wurde, in der Tat die Gottmenschheit im Mit-
telpunkt stand und immer wieder - bis heute - in den Mittelpunkt gerückt worden ist.
Ich habe daher vorgeschlagen, von »biblischer Religion« zu reden und die Konfessio-
nen in ihrer Vielfachheit als | Erscheinungsweisen dieser religiösen Substanz aufzufas- 90
sen.691 In der Realität der Welt haben wir durch eine Konfession hindurch, der wir ja
selber angehören, Anteil am biblischen Glauben, der substantiell ohne Begriff, ohne
Bekenntnis alle auf irgendeine Weise eint. Doch all das sind doch vergleichsweise äu-
ßerliche Erörterungen.
Erlauben Sie mir, der mir entgegengebrachten Gesinnung entsprechend, die Frage
meines Zweifels. Wollen wir, Sie und ich, uns auf Feststellungen beschränken, die doch
jeweils für den anderen in dem Bereiche jener äußerlichen Erörterungen liegen, denen
ich eben nachging? Sind Feststellungen überhaupt möglich, wo es auf das Innerste des
Glaubens ankommt? Müssen wir nicht auf Feststellungen überall da verzichten, wo
diese Feststellungen nicht etwa empirische Tatsachen oder logisch zwingende Gedan-
kengänge betreffen? Würden Sie sprechen von der Feststellung, mit der Gottmensch-
heit Jesu Christi würde der Glaube selber aufhören, so habe ich Ihnen anfänglich his-
torisch durch Beispiele widersprochen, und jetzt würde ich wieder zu widersprechen
wagen, weil sich das, was Sie meinen, auch wenn es wahr ist, sich der Form einer | Fest- 91
Stellung entzieht. Ist es notwendig, daß wir uns mit der von Ihnen ausgesprochenen
Feststellung, eben diesem Glauben an Jesus Christus als den Gottmenschen, begnü-