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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0654
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Philosophie und Offenbarungsglaube

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die | Kirche, nur daß die Kirche selber keine »heilige« ist? Wenn ich so etwas höre vom 94
Treibsand, so denke ich als Protestant: Keineswegs ist der einzelne Mensch Treibsand.
Seinen Glauben privat zu nennen, ist eine unerlaubte Disqualifizierung. Dieser Glaube
des Einzelnen müßte vielmehr wieder wach werden können. Ich bin überzeugt, daß
er verborgen in der Mehrzahl der Menschen heute bereitliegt. Was liegt an der Kirche,
daß das nicht geschieht oder nur in der Weise jener fünf Prozent? Ist das ausschließli-
che Festhalten an der Gottmenschheit Jesu Christi vielleicht auch in der instinktiven
Sorge begründet, die ganze Kirche fiele zusammen, wenn man sie preisgäbe? Müßte
nicht eine Wandlung der Kirche erfolgen dadurch, daß sie sich löst von einer Gott-
menschheit, die faktisch nicht geglaubt wird, und auf das wahrhaftige Glauben-wol-
len in der Bevölkerung hört, um nun auf dem biblischen Grunde in seiner ganzen Sub-
stanz jene Wandlung zu gründen, die als Wahrhaftigkeit nunmehr von den Völkern
selber aufgenommen und ergriffen wird, wenn das Unglaubwürdige wegfällt? Was ich
so sage, sind vordergründige Gedanken, sind fast Zweckgedanken, aber es | könnte in 95
ihnen - meine ich - die Wahrheit stecken, von der ich nicht sagen kann, wie sie sich
durchsetzt. Worauf ich das Augenmerk richte, ist nur dies: Es ist kein Zweifel, daß die
Bevölkerungen zur Heiligung ihrer wesentlichen Ereignisse drängen; daß sie entbeh-
ren; daß sie nicht wissen, wohin; daß sie wollen, was Wahrheit für sie ist, wo sie die Ge-
wißheit haben können, daß in diesen ernstesten Dingen gar keine Gewaltsamkeit und
keine Täuschung stattfindet.
Zahrnt
Mit dem, was Sie eben gesagt haben, lenken Sie bereits zu den praktischen Folgerun-
gen, die Sie am Ende Ihres Buches aus Ihren philosophischen Erwägungen für den zu-
künftigen Weg der Kirche ziehen. Sie stellen dort die Frage, wie es nach dem Angriff
Kierkegaards auf die Kirche noch möglich sei, in Redlichkeit Pfarrer zu werden.
Die erste Voraussetzung ist der Glaube, mag er philosophischer oder Offenbarungsglaube
sein. Er läßt sich nicht wollen, nicht zeigen, nicht bekennen.
Unerläßlich ist dann die Wahrhaftigkeit...
| Glaube und Wahrhaftigkeit vermögen die einfachen Forderungen der Zehn Gebote und 96
die Grundverfassung des »Vater unser« aus dem Ursprung im Mensch als Menschen einzu-
prägen dem täglichen Dasein, sie zu schützen vor Halbheit und Lässigkeit.
Der Pfarrer erneuert in der Zerstreutheit, zu der das Weltleben verführt, ständig den Blick
auf die ewigen Dinge. Er bewahrt und erhellt den Raum, in dem sie durch Chiffern Sprache
haben und leuchten. Er sorgt, daß die Einzelnen in dem Raum zu Hause bleiben, wo solche
Sprache stattfindet.
Der Pfarrer steht unter dem Anspruch, von ihnen so zu reden, daß sie glaubwürdig sind.
Das gelingt ihm nur, wenn er selbst glaubwürdig ist. Nur dann kann er die Bibel so rein zur
Sprache bringen, daß sie im Ernst gehört wird...
 
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