Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar GT 2, KSA 1, S. 32-33 131

33,15-27 und insbesondere erregte ihr die dionysische Musik Schrecken und
Grausen. Wenn die Musik scheinbar bereits als eine apollinische Kunst bekannt
war, so war sie dies doch nur, genau genommen, als Wellenschlag des Rhythmus,
dessen bildnerische Kraft zur Darstellung apollinischer Zustände entwickelt
wurde. Die Musik des Apollo war dorische Architektonik in Tönen, aber in nur
angedeuteten Tönen, wie sie der Kithara zu eigen sind. Behutsam ist gerade das
Element, als unapollinisch, ferngehalten, das den Charakter der dionysischen
Musik und damit der Musik überhaupt ausmacht, die erschütternde Gewalt des
Tones, der einheitliche Strom des Melos und die durchaus [in der alten Wortbe-
deutung: ganz] unvergleichliche Welt der Harmonie.] Schon in der antiken Über-
lieferung ist der Gegensatz von ,apollinischer4 und , dionysischer4 Musik zu
greifen, zunächst als Gegensatz zwischen dem zu Ehren des Dionysos gesunge-
nen Dithyrambos und dem zu Ehren des Apollon gesungenen Paian. Wie schon
im Überblickskommentar dargelegt, bringt Plutarch in seiner Schrift Über das
E in Delphi (Kap. 9), auf die N. in seinen Aufzeichnungen immer wieder rekur-
riert, den musikalischen Gegensatz auf folgenden Nenner: „Und sie singen
dem einen dithyrambische Gesänge, voll von Leidenschaft und Wechsel,
Schwanken und Wirrnis - ,mit wechselndem Klang4, sagt Aischylos, ,soll der
Dithyrambos mitschwärmend Dionysos begleiten4 - dem andern den Paian,
einen wohlgeordneten, zuchtvollen Gesang44. Anschließend bezieht Plutarch
diesen musikalischen Gegensatz auf das ebenfalls gegensätzliche Wesen der
beiden Götter: „Und überhaupt schreiben sie dem einen Gleichmäßigkeit, Ord-
nung und lauteren Ernst, dem anderen aus Scherz, Übermut und Raserei
gemischte Wandelbarkeit zu und rufen ihn als ,Euoirufer, Weiberbegeisterer,
unter tobenden Ehrungen herstürmenden Dionysos4, womit sie das Eigentümli-
che der beiden Erscheinungsformen nicht übel treffen“ (Übersetzung von Kon-
rat Ziegler). In seiner zuerst im Sommersemester 1869 gehaltenen Vorlesung
über die griechischen Lyriker zog N. Plutarch (und eine Partie aus Proklos)
heran, um den Dithyrambos zu charakterisieren. Vgl. auch Aristoteles, Politik
VIII, 7, 1342ff.: Aristoteles exponiert hier den Gegensatz zwischen „dorischer“
und „phrygischer“ (also orientalischer) Musik und verbindet letztere mit der
Flöte, mit Dionysos und dem Dithyrambos. „Denn jede dionysische (ßotKXcia)
und verwandte Bewegung stellt sich [...] mittels der Flöte dar“.
Die für N. maßgebende und auch in seiner privaten Bibliothek vorhandene
Geschichte der alten und mittelalterlichen Musik von Rudolf Westphal (Breslau
1864) charakterisiert markant den Gegensatz von Kithara- und Aulos-Musik:
„Die Kithara-Musik steht zu der Aulos-Musik in einem strengen Gegensätze des
Ethos: Ruhe, Maasshaltigkeit, heiterer Ernst charakterisirt die Kitharodik; - die
Aulodik versetzt das Gemüth in Unruhe und Bewegung, wirkt nicht besänfti-
gend, sondern reisst gewaltsam mit sich fort in den Orgiasmus der überspru-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften