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Stellenkommentar GT 2, KSA 1, S. 33 133

Hier wird deutlich, warum N. vom „Schrecken und Grausen“ der „dionysischen
Musik“ sprechen konnte.
33, 27-31 Im dionysischen Dithyrambus wird der Mensch zur höchsten Steige-
rung aller seiner symbolischen Fähigkeiten gereizt; etwas Nieempfundenes
drängt sich zur Aeusserung, die Vernichtung des Schleiers der Maja, das Einssein
als Genius der Gattung, ja der Natur.] N. hatte den Dithyrambos in den Auf-
zeichnungen zu seiner Vorlesung über die griechischen Lyriker (Sommersemes-
ter 1869 u. ö.) behandelt (KGW II 2, 146-148). Er legte seinen Ausführungen
die damals maßgebende Darstellung von Johann Adam Hartung zugrunde: Die
griechischen Lyriker. Griechisch und mit metrischer Übersetzung und prüfenden
und erklärenden Anmerkungen, 6 Bde, Leipzig 1855-57. Bd. V: Archilochos und
die dorischen Liederdichter bis auf Pindar, 1856. Ferner griff er zurück auf Gott-
fried Bernhardy: Grundriss der Griechischen Litteratur: Bd. 1, Halle 1836 (in N.s
Bibliothek, von N. im Dezember 1870 auch aus der Basler Universitätsbiblio-
thek entliehen), Bd.2, Halle 1845, hier besonders S. 438-446, 465-467. In der
zu erläuternden Partie stellt N. den Dithyrambos in Schopenhauers weltan-
schaulichen Horizont: In der dionysischen Ekstase des Dithyrambos will er die
„Vernichtung des Schleiers der Maja“ sehen, d. h. die Aufhebung des ,princi-
pium individuationis4, durch das sich der Übergang zum vor-individuellen
Urgrund des Daseins, in N.s Worten: zur „Gattung“ und zur „Natur“ überhaupt
vollzieht. Er konnte damit auch anknüpfen an Karl Otfried Müller: Geschichte
der griechischen Literatur bis auf die Zeit Alexanders, Bd. 2, Breslau 1841,21857,
die er von Januar bis April 1870 aus der Basler Universitätsbibliothek entlieh.
Darin wird der spezielle Naturbezug des „Bacchusdienstes“ hervorgehoben.
Die mit ihm „verbundene enthusiastische Begeisterung“, so Müller (S. 27), ent-
springe „aus einer leidenschaftlichen Theilnahme an den Ereignissen der
Natur im Laufe der Jahreszeiten, insbesondere an dem Kampfe, den die Natur
gleichsam im Winter durchgeht, um in erneuter Blüthe im Frühjahr hervorzu-
brechen: daher die Feste des Gottes in Athen und anderwärts alle in den Mona-
ten, die dem kürzesten am Nächsten liegen, gefeiert wurden [vgl. NK 28, 34-
29, 5]. Die Stimmung dieser Feste war ursprünglich die, daß die begeisterten
Theilnehmer den Gott wirklich in den Ereignissen der Natur [...] wahrzuneh-
men glaubten“. N. macht aus dieser konkreten Natur eine pantheistisch-natur-
philosophisch zu verstehende Urnatur.
Den Ausdruck „Genius der Gattung“ verwendet Schopenhauer leitmoti-
visch in seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung II, 4. Buch,
Kap. 44: Metaphysik der Geschlechtsliebe. Den „Genius der Gattung“ versteht
er als das Wirken der überindividuellen Naturkraft, die sich in der individuel-
len Liebesleidenschaft Bahn bricht, um den Fortbestand der Gattung, also
letztlich ein überindividuelles Ziel zu erreichen. Die individuelle Liebesleiden-
 
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