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180 Die Geburt der Tragödie

ersetzte der jambische Trimeter den trochäischen Tetrameter. Denn zunächst
(tö |tev ydp nptüTOv) hatte man den Tetrameter verwendet, weil die Dichtung
satyrspielartig war und dem Tanze näher stand (ötd to oaTupiKpv Kai
öpxnnTiKCüTEpav clvai Tpv noipotv); als aber der [dialogische] Vortrag aufkam,
fand die Natur selbst das geeignete Versmaß“. Aristoteles spricht hier von einer
satyrspielartigen „Dichtung“, die noch keineswegs auf ein tragisches Gesche-
hen, sondern im Gegenteil „auf Lachen“ (ycAoiaq) zielte; erst spät (oxpe) und
zwar erst im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Dialogs habe sich der
tragisch-feierliche Charakter (und folglich überhaupt erst die als ,Tragödie4 zu
bezeichnende Dichtungsart) herausgebildet. Dem widerspricht N.s Auffassung
des Satyrchors als des „Chors der ursprünglichen Tragödie“ wie überhaupt
seine ganze Theorie von der „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“.
Er konnte aber in einem der von ihm herangezogenen gelehrten Werke des
19. Jahrhunderts, in Karl Otfried Müllers Geschichte der griechischen Literatur,
eine entsprechende (problematische) Darstellung finden (Bd. 2, Breslau 1841,
Kapitel 21: Ursprünge der dramatischen Poesie): „Eine allgemeine Ueberliefe-
rung der alten Gelehrten ist, daß die Tragödie, so wie die Komödie, ursprüng-
lich ein Chorgesang war [...] Dieser Chorgesang gehörte in die Klasse des
Dithyrambos [...] Der Chor betrachtete sich dabei selbst als einen dem Dio-
nysos angehörenden Schwarm und gerieth dadurch von selbst in die Rolle der
Satyrn“ (S. 29-31). Und ferner: „Daß die älteste Tragödie den Charakter eines
Satyrspiels gehabt habe, versichern Aristoteles und viele Grammatiker, und
gerade dem Arion, der den tragischen Dithyrambus erfunden haben soll, wird
auch die Einführung von Satyrn in diese Dichtungsgattung zugeschrieben“
(S. 31). Gegenüber dieser Darstellung betont Gottfried Bernhardy in seinem
Grundriß der Griechischen Litteratur, den N. ebenfalls benutzte, aber in diesem
Zusammenhang nicht berücksichtigte, wie unklar und lückenhaft die Überlie-
ferung ist: „Die weiten Lücken dieses Feldes welche in Ermangelung eines
historischen Materials durch Analogien und hypothetische Gruppirung ausge-
füllt werden, lassen sich auch in der klarsten und übersichtlichsten Forschung
von Weicker erkennen“ (Bd. 2, S. 546). Bernhardy fährt fort: „Vom ursprüngli-
chen Bestände solcher durch Satyrchöre und entsprechende Führer repräsen-
tirten Dionysien verlautet nichts [...] Alles bewegt sich um die Frage nach der
frühesten Verfassung des Attischen Satyrreigens; wofür wenige dunkle Andeu-
tungen verblieben sind“ (S. 565), und er folgert daraus im Hinblick auf Aristote-
les, Poetik 4, 17.18 (= 1449a): „Nicht als ob die Tragödie sich unmittelbar aus
dem Satyrspiele entwickelt hätte; sondern letzteres bot sowohl mythische
Stoffe, welche wohl im Dithyrambus nicht lagen, als auch eine metrische Form
der Erzählung, und hiezu kamen vielleicht burleske Tänze. Ueberdies ist die
Verbindung der Satyrn mit Dithyramben förmlich durch Arion vollzogen
 
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