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Stellenkommentar GT 9, KSA 1, S. 65-67 199

66,17 f. der für das sterbliche Auge unauflöslich verschlungene Prozessknoten
der Oedipusfabel] Aristoteles diagnostizierte in seiner Poetik die Schürzung
und die darauf folgende Lösung des Knotens als Grundstruktur jeder Tragödie.
Poetik 1455 b 24: „Zu jeder Tragödie gehört sowohl die Schürzung wie die
Lösung [des Knotens]“ (ectti öe nötoqq Tpayqjöiaq to psv ösatq to öe Avaiq).
Analog 1456 a 9: q avTq nAoKq Kai Avmq.
66, 28-30 Es giebt einen uralten, besonders persischen Volksglauben, dass ein
weiser Magier nur aus Incest geboren werden könne] Auf schon älteren Zeugnis-
sen basierend hatte Catull (carmina 90, V. 1-4) in einem Spottgedicht auf Gel-
lius diesen Volksglauben aufgegriffen:
Nascatur magus ex Gelli matrisque nefando
coniugio et discat Persicum aruspicium:
nam magus ex Matre et gnato gignatur oportet,
si vera est Persarum impia religio
Möge ein Magier kommen aus Gellius’ ruchloser Ehe
mit seiner Mutter und lern’ Persische Weissagekunst -
Denn ein Magier muß von Mutter und Sohn ja entstammen,
Wenn wahr ist der Perser Frevelglaube
N. bezieht sich in NL 1870/1871, KSA 7, 7[11], 139, If. auf die von ihm benutzte
Textausgabe von Rudolf Westphal, Breslau 1867, S. 120, mit folgenden Worten:
„Nach Catull (Westph(al/ 120) wird bei den Persern aus Incest ein Magier
geboren“. Vgl. NL 1870/1871, KSA 7, 7[22], 141, 19-25: „Der Vatermörder und der
im Incest lebende Oedipus ist zugleich der Räthsellöser der Sphinx, der Natur.
Der persische Magus wurde aus Incest geboren: das ist dieselbe Vorstellung.
D. h. so lange man in der Regel der Natur lebt, beherrscht sie uns und verbirgt
ihr Geheimniß. Der Pessimist stürzt sie in den Abgrund, indem er ihre Räthsel
erräth. / Oedipus Symbol der Wissenschaft“.
67,10-13 dass die Weisheit und gerade die dionysische Weisheit ein naturwidri-
ger Greuel sei, dass der, welcher durch sein Wissen die Natur in den Abgrund
der Vernichtung stürzt] Inwiefern die Weisheit des Ödipus eine „dionysische
Weisheit“ sein soll, bleibt unklar. Anschließend ist von seinem „Wissen“ die
Rede, und später, vor allem in Kapitel 13-15, wird das Wissen am Beispiel des
Sokrates als Gegensatz des Dionysischen dargestellt. Wiederum eine andere
Weisheitskonzeption geht aus den Worten des „weisen“ Silen in GT 3 (35, 12-
24) hervor. Sie wird mit einer pessimistischen „griechischen Volksweisheit“
gleichgesetzt (35, 11). Später, in einer Skizze zur „Philosophie der ewigen Wie-
derkunft“, die in der Zeit zwischen Sommer und Herbst 1884 entstand, greift
 
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