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Stellenkommentar GT 12, KSA 1, S. 83-84 253

83, 34-84, 1 mit jener Lust am Scheine und der Erlösung durch den Schein]
Hier nimmt N. wieder die Vorstellungen Schopenhauers auf, die er besonders
im 4. Kapitel entfaltet hatte.
84, 11-15 der sein Wesen im platonischen „Ion“ also beschreibt: „Wenn ich
etwas Trauriges sage, füllen sich meine Augen mit Thränen; ist aber das, was
ich sage, schrecklich und entsetzlich, dann stehen die Haare meines Hauptes vor
Schauder zu Berge, und mein Herz klopft.“] Den von N. in Anführungszeichen
gesetzten Wortlaut übernahm er aus folgendem Werk in seiner persönlichen
Bibliothek: Frederik Nutzhorn: Die Entstehungsweise der homerischen Gedichte,
Leipzig 1869, S. 88 f. In Platons Dialog Ion fragt Sokrates den Rhapsoden Ion,
ob er seinen Vortrag mit klarem Bewußtsein oder ergriffen von Begeisterung
gestalte (535 c). Aus dem Gespräch ergibt sich, daß Ion bloß ein auf Effekte
ausgehender Vortragskünstler ist. Er hat weder ein klares Wissen noch ist er
inspiriert und authentisch, sondern nur affektiert. N. überträgt dies polemisch
auf Euripides, der - wie Ion - lediglich äußerlich „Affecte“ inszeniere.
84, 22 Reiner Künstler ist er weder im Entwerfen noch im Ausführen.] Hier und
im Folgenden fixiert N. seinen problematischen Begriff von „Kunst“, indem er
wahre Kunst auf intuitionistische und irrationalistische Voraussetzungen
zurückzuführen versucht, die seinem eigenen Grundschema des Apollinischen
und Dionysischen entsprechen: auf ,,apollinische[n] Anschauungen“ (= Intui-
tionen) und „dionysische [n] Entzückungen“ (= rauschhaft irrationale
Zustände) (84, 31 f.). Aufgrund dessen bestreitet er, daß Euripides „reiner
Künstler“ gewesen sei, und alsbald geht er noch weiter, indem er behauptet,
Euripides habe sich in eine „unkünstlerische“ Tendenz verirrt (85, 4). Damit
schloß sich N. den Vorurteilen an, die er in den von ihm benutzten Handbü-
chern zur griechischen Literatur fand. So schreibt Gottfried Bernhardy in sei-
nem von N. häufig herangezogenen Grundriß der Griechischen Litteratur (Zwei-
ter Theil, Halle 1845, S. 833): „Euripides war der erste klassische Dichter,
welcher von der Welt abgeschieden und mehr durch abstrakte Tendenzen
bestimmt als aus dem reinen poetischen Beruf wirkte“.
84, 27-32 neue Erregungsmittel [...], die nun nicht mehr innerhalb der beiden
einzigen Kunsttriebe, des apollinischen und des dionysischen, liegen können.
Diese Erregungsmittel sind kühle paradoxe Gedanken - an Stelle der apollini-
schen Anschauungen - und feurige Aff ecte - an Stelle der dionysischen Entzü-
ckungen -] Vgl. NL 1871/1872, KSA 7, 14[9], 377, 21-23: „Bei Euripides tritt an
Stelle der dionysischen Erregung die Aufregung an sich. An Stelle der apollini-
schen Ruhe die Kühle des Denkens“. N. setzt die „Kunsttriebe“, die er schon
in GT 1 (25, 17f.; 26, 3) in der Sphäre des Triebhaften ansiedelt, den sich von
der Triebsphäre ablösenden und deshalb als unauthentisch abgewerteten
 
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