326 Die Geburt der Tragödie
„Lust - tiefer noch als Herzeleid:
„Weh spricht: Vergeh!
„Doch alle Lust will Ewigkeit -,
„-will tiefe, tiefe Ewigkeit!“
Gegen Ende der Tragödienschrift nimmt N. nochmals ausführlich das Thema
der „Lust“ auf: 152, 1-153, 17. Vgl. auch die Vorstufe Die dionysische Weltan-
schauung, KSA 1, 572, 2-9.
109, 19-22 Trotz Furcht und Mitleid sind wir die glücklich-Lebendigen, nicht
als Individuen, sondern als das eine Lebendige, mit dessen Zeugungslust wir
verschmolzen sind.] „Furcht und Mitleid“ sind die Affekte, welche die Tragödie
in der Poetik des Aristoteles bei den Menschen (den „Individuen“) erregt, um
sie der „Katharsis“ zuzuführen. N. überschreitet die Sphäre individueller Wir-
kung, um einen gerade durch die Auflösung alles Individuellen im tragischen
Untergang des Helden stattfindenden mystischen Übergang ins vor-individuell
Allgemeine - in „das eine Lebendige“ - zu postulieren. Vgl. NK 108, 17-
22. Indem N. von den „glücklich-Lebendigen“ und von der „Zeugungslust des
eine [n] Lebendige[n]“ spricht, löst er sich schon weitgehend von der in den
früheren Partien noch dominierenden Unseligkeit des Schopenhauerschen
„Willens“ zugunsten eines positiven Lebens-Begriffes, der allerdings nur meta-
physisch zum Tragen kommt. Die Vorstellung von der „Zeugungslust“ pointiert
die ,dionysische4 Qualität dieses Lebensbegriffs.
109, 28-34 Zugleich aber müssen wir zugeben, dass die vorhin aufgestellte
Bedeutung des tragischen Mythus den griechischen Dichtern, geschweige den
griechischen Philosophen, niemals in begrifflicher Deutlichkeit durchsichtig
geworden ist; ihre Helden sprechen gewissermaassen oberflächlicher als sie han-
deln; der Mythus findet in dem gesprochnen Wort durchaus nicht seine adäquate
Objectivation.] Diese im Folgenden sich fortsetzende These reflektiert zwar
ihren eigenen Charakter als einer bloßen These („aufgestellte Bedeutung“);
indem sie dann aber den griechischen Dichtern, d. h. den Tragikern, und
besonders „den griechischen Philosophen“, womit vornehmlich Aristoteles mit
seinen Ausführungen zur Tragödie in der Poetik gemeint ist, die klare Einsicht
in die Wahrheit dieser These abspricht, beansprucht N. ein Deutungsmonopol
aufgrund der eigenen intuitiven und apriorischen Einsicht. Die Abwertung des
„Wortes“ dient, entsprechend der früheren Abwertung des Dialogs, der radika-
len Aufwertung der „Musik“ im Folgenden.
110, 25-28 Die Griechen sind, wie die ägyptischen Priester sagen, die ewigen
Kinder [...], welche nicht wissen] In Platons Timaios (22b) sagt ein sehr bejahrter
ägyptischer Priester zu dem griechischen Staatsmann Solon, dem Weisesten
„Lust - tiefer noch als Herzeleid:
„Weh spricht: Vergeh!
„Doch alle Lust will Ewigkeit -,
„-will tiefe, tiefe Ewigkeit!“
Gegen Ende der Tragödienschrift nimmt N. nochmals ausführlich das Thema
der „Lust“ auf: 152, 1-153, 17. Vgl. auch die Vorstufe Die dionysische Weltan-
schauung, KSA 1, 572, 2-9.
109, 19-22 Trotz Furcht und Mitleid sind wir die glücklich-Lebendigen, nicht
als Individuen, sondern als das eine Lebendige, mit dessen Zeugungslust wir
verschmolzen sind.] „Furcht und Mitleid“ sind die Affekte, welche die Tragödie
in der Poetik des Aristoteles bei den Menschen (den „Individuen“) erregt, um
sie der „Katharsis“ zuzuführen. N. überschreitet die Sphäre individueller Wir-
kung, um einen gerade durch die Auflösung alles Individuellen im tragischen
Untergang des Helden stattfindenden mystischen Übergang ins vor-individuell
Allgemeine - in „das eine Lebendige“ - zu postulieren. Vgl. NK 108, 17-
22. Indem N. von den „glücklich-Lebendigen“ und von der „Zeugungslust des
eine [n] Lebendige[n]“ spricht, löst er sich schon weitgehend von der in den
früheren Partien noch dominierenden Unseligkeit des Schopenhauerschen
„Willens“ zugunsten eines positiven Lebens-Begriffes, der allerdings nur meta-
physisch zum Tragen kommt. Die Vorstellung von der „Zeugungslust“ pointiert
die ,dionysische4 Qualität dieses Lebensbegriffs.
109, 28-34 Zugleich aber müssen wir zugeben, dass die vorhin aufgestellte
Bedeutung des tragischen Mythus den griechischen Dichtern, geschweige den
griechischen Philosophen, niemals in begrifflicher Deutlichkeit durchsichtig
geworden ist; ihre Helden sprechen gewissermaassen oberflächlicher als sie han-
deln; der Mythus findet in dem gesprochnen Wort durchaus nicht seine adäquate
Objectivation.] Diese im Folgenden sich fortsetzende These reflektiert zwar
ihren eigenen Charakter als einer bloßen These („aufgestellte Bedeutung“);
indem sie dann aber den griechischen Dichtern, d. h. den Tragikern, und
besonders „den griechischen Philosophen“, womit vornehmlich Aristoteles mit
seinen Ausführungen zur Tragödie in der Poetik gemeint ist, die klare Einsicht
in die Wahrheit dieser These abspricht, beansprucht N. ein Deutungsmonopol
aufgrund der eigenen intuitiven und apriorischen Einsicht. Die Abwertung des
„Wortes“ dient, entsprechend der früheren Abwertung des Dialogs, der radika-
len Aufwertung der „Musik“ im Folgenden.
110, 25-28 Die Griechen sind, wie die ägyptischen Priester sagen, die ewigen
Kinder [...], welche nicht wissen] In Platons Timaios (22b) sagt ein sehr bejahrter
ägyptischer Priester zu dem griechischen Staatsmann Solon, dem Weisesten