328 Die Geburt der Tragödie
111, 17 eine Wiedergeburt der Tragödie] Dieses Leitthema wird in 103, 13 f.
eingeführt.
111, 33f. Entfaltung des neueren attischen Dithyrambus] Vgl. NK 112,
11-14.
112, 6-10 Der sicher zugreifende Instinct des Aristophanes hat gewiss das
Rechte erfasst, wenn er Sokrates selbst, die Tragödie des Euripides und die Musik
der neueren Dithyrambiker in dem gleichen Gefühle des Hasses zusammenfasste
und in allen drei Phänomenen die Merkmale einer degenerirten Cultur witterte.]
Zu N.s Gewährsmann Aristophanes vgl. NK 76, 21-23 und 77, 19-25. Den Sokra-
tes nahm Aristophanes in der Komödie Die Wolken aufs Korn, den Euripides
in den Fröschen, den neueren Dithyrambos in der Komödie Die Vögel (V. 1373-
1409). Wie sehr N. aus dem Horizont der eigenen Zeit heraus dachte und
wertete, geht aus der Vorstellung von einer „degenerirten Cultur“ hervor.
„Degeneration“ war eines der Schlagworte der Zeit, ebenso wie „Entartung“
und „Decadence“. 1857 war das bald in ganz Europa tonangebende Werk des
französischen Psychiaters Benedict Augustin Morel erschienen: Tratte des
degenerescences physiques, intellectuelles et morales de l’espece humaine et de
ses causes qui produisent ces Varietes maladives. Darin wurde der Begriff der
Degeneration als progressive Entartung definiert. Das in die Geschichte der
Psychiatrie eingegangene ,Morelsche Gesetz4 lautet: „Les degenerations sont
des deviations maladives du type normal de l’humanite hereditairement trans-
missibles et evoluant-progressivement vers la decheance“ („Degenerationen
sind krankhafte Abweichungen vom menschlichen Normaltyp, die erblich
übertragen werden und sich progressiv bis hin zum [vollständigen] Niedergang
entwickeln“). In der deutschen Psychiatrie und über den psychiatrischen Dis-
kurs hinaus setzte sich Morels Theorie rasch durch, auch in popularisierter
Form. Im Jahr 1859 gab der französische Arzt Jacques-Joseph Moreau (genannt
,de Tours4) sein grundlegendes Werk heraus: La Psychologie morbide dans ses
rapports avec la Philosophie de l’histoire ou de l’influence des nevropathies sur
le dynamisme intellectuel. Nicht mehr wahrgenommen hat N. das für das intel-
lektuelle Klima charakteristische zweibändige Werk von Max Nordau: Ent-
artung (Berlin 1892-1893), das einen internationalen Widerhall fand und in alle
europäischen Sprachen übersetzt wurde (die englische Übersetzung erlebte 1895
in vier Monaten sieben Auflagen). Nordau wandte die Vorstellung der Entartung
entschieden pejorativ auf moderne Kunst und Kultur an (auch auf N.!).
N. selbst gebraucht den Begriff ,Entartung4 schon in der Tragödienschrift
(114, 30), er spricht von einer „entarteten Musik“ (112, 3) im Zusammenhang
mit der Diagnose „einer degenerirten Cultur“ und vermutet aufgrund der -
nach seiner Auslegung - engsten Verwandtschaft von „Musik und Mythus“,
111, 17 eine Wiedergeburt der Tragödie] Dieses Leitthema wird in 103, 13 f.
eingeführt.
111, 33f. Entfaltung des neueren attischen Dithyrambus] Vgl. NK 112,
11-14.
112, 6-10 Der sicher zugreifende Instinct des Aristophanes hat gewiss das
Rechte erfasst, wenn er Sokrates selbst, die Tragödie des Euripides und die Musik
der neueren Dithyrambiker in dem gleichen Gefühle des Hasses zusammenfasste
und in allen drei Phänomenen die Merkmale einer degenerirten Cultur witterte.]
Zu N.s Gewährsmann Aristophanes vgl. NK 76, 21-23 und 77, 19-25. Den Sokra-
tes nahm Aristophanes in der Komödie Die Wolken aufs Korn, den Euripides
in den Fröschen, den neueren Dithyrambos in der Komödie Die Vögel (V. 1373-
1409). Wie sehr N. aus dem Horizont der eigenen Zeit heraus dachte und
wertete, geht aus der Vorstellung von einer „degenerirten Cultur“ hervor.
„Degeneration“ war eines der Schlagworte der Zeit, ebenso wie „Entartung“
und „Decadence“. 1857 war das bald in ganz Europa tonangebende Werk des
französischen Psychiaters Benedict Augustin Morel erschienen: Tratte des
degenerescences physiques, intellectuelles et morales de l’espece humaine et de
ses causes qui produisent ces Varietes maladives. Darin wurde der Begriff der
Degeneration als progressive Entartung definiert. Das in die Geschichte der
Psychiatrie eingegangene ,Morelsche Gesetz4 lautet: „Les degenerations sont
des deviations maladives du type normal de l’humanite hereditairement trans-
missibles et evoluant-progressivement vers la decheance“ („Degenerationen
sind krankhafte Abweichungen vom menschlichen Normaltyp, die erblich
übertragen werden und sich progressiv bis hin zum [vollständigen] Niedergang
entwickeln“). In der deutschen Psychiatrie und über den psychiatrischen Dis-
kurs hinaus setzte sich Morels Theorie rasch durch, auch in popularisierter
Form. Im Jahr 1859 gab der französische Arzt Jacques-Joseph Moreau (genannt
,de Tours4) sein grundlegendes Werk heraus: La Psychologie morbide dans ses
rapports avec la Philosophie de l’histoire ou de l’influence des nevropathies sur
le dynamisme intellectuel. Nicht mehr wahrgenommen hat N. das für das intel-
lektuelle Klima charakteristische zweibändige Werk von Max Nordau: Ent-
artung (Berlin 1892-1893), das einen internationalen Widerhall fand und in alle
europäischen Sprachen übersetzt wurde (die englische Übersetzung erlebte 1895
in vier Monaten sieben Auflagen). Nordau wandte die Vorstellung der Entartung
entschieden pejorativ auf moderne Kunst und Kultur an (auch auf N.!).
N. selbst gebraucht den Begriff ,Entartung4 schon in der Tragödienschrift
(114, 30), er spricht von einer „entarteten Musik“ (112, 3) im Zusammenhang
mit der Diagnose „einer degenerirten Cultur“ und vermutet aufgrund der -
nach seiner Auslegung - engsten Verwandtschaft von „Musik und Mythus“,