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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0028
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Überblickskommentar 9

geradezu mit einer brieflichen Invektive (KSB 8, Nr. 1135, S. 457-459), die mit
den Worten schließt: „Sie haben nie ein Wort von mir verstanden, nie einen
Schritt von mir verstanden: es hilft nichts; darüber müssen wir unter uns
Klarheit schaffen, — auch in diesem Sinn ist der ,Fall Wagner' für mich noch
ein Glücksfall -" (ebd., S. 459, Z. 54-58).
Andererseits nahm N. auf seiner Postkarte an Naumann vom 07. 11. 1888
freudig wahr, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für WA verhältnismäßig
groß sei und sich namentlich Carl Spitteler darüber „sehr erbaut und dankbar"
zeige (KSB 8, Nr. 1140, S. 465, Z. 4 f.). Von allen berufenen Seiten, so scheint
es N. nun plötzlich, fliegen ihm wegen des Wagner-Pamphlets Sympathien zu.
So meldete er am 13. 11. 1888 an Köselitz: „Herr Carl Spitteler hat sein Entzü-
cken über den ,Fall' im Bund ausgesprudelt: er hat erstaunlich zutreffende
Worte, — er gratulirte mir auch brieflich dazu, daß ich bis an's Ende gegan-
gen sei: er scheint die Gesammt-Bezeichnung unsrer modernen Musik als deca-
dence-Musik für eine kulturhistorische Feststellung ersten Rangs zu halten.
Übrigens hatte er sich zuerst an den ,Kunstwart' gewendet. — Von Paris aus
wird mir ein Aufsatz in der revue nouvelle in Aussicht gestellt. Auch eine St.
Petersburger Beziehung hat sich daraufhin angeknüpft: Fürstin Anna Dmi-
trievna Tenicheff. — Dr. Brandes schreibt, daß der größte schwedische Schrift-
steller, ,ein wahres Genie', August Strindberg, ganz für mich eingenommen ist.
Dieser Tage trifft die Adresse der charmanten Wittwe Bizet's bei mir ein,
der eine Freude mit der Zusendung meiner Schrift zu machen ich sehr ersucht
werde." (KSB 8, Nr. 1142, S. 467 f., Z. 40-54, vgl. Spittelers Brief an N. vom
06. 11. 1888, KGB III 6, Nr. 600, S. 346 f.; seine Besprechung erschien im Berner
Bund am 07. 11. 1888).
In der psychologischen Selbstbeschreibung, die N. im November 1888 von
sich gab, kam WA eine wichtige Funktion zu, nämlich als „wahre Wohlthat"
„inmitten der ungeheuren Spannung, in der ich lebe" (an Elisabeth Förster,
Mitte November 1888, KSB 8, Nr. 1145, S. 473 f., Z. 31 f.). Wer diese „Spannung",
damit die Bedeutung, die Tiefe und die Tragik der Aufgabe einer „Umwerthung
aller Werthe" verstehen will, muss, so die Implikation, auch das vorangehende
Satyrspiel, eben WA zu verstehen in der Lage sein. So könne N. Köselitz gegen-
über am 18. 11. 1888 großzügig einräumen: „Der ,Fall Wagner' ist Operetten-
Musik..." (KSB 8, Nr. 1148, S. 479, Z. 48 f.) Bereits im Brief an Naumann vom
07. 09. 1888 (KSB 8, Nr. 1103, S. 412, Z. 16 f.) galt WA als „übermüthige farce
gegen Wagner", auf die nicht „unmittelbar" das ganz und gar ernste Haupt-
werk folgen dürfe. Als „sehr ernste[s] Gegenstück" (KSB 8, Nr. 1192, S. 527,
Z. 35) zu WA erschien ihm im Brief an Köselitz ein Vierteljahr später, am 16. 12.
1888, dann auch das neu zusammenzustellende Florilegium von Wagner-kriti-
schen Stellen aus früheren Schriften N.s, das den Titel Nietzsche contra Wagner
bekam.
 
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