10 Der Fall Wagner
Eine Kritik von WA, die der Berufswagnerianer Richard Pohl in dem von
N.s ehemaligem Verleger Ernst Wilhelm Fritzsch herausgegebenen Musikali-
schen Wochenblatt am 25. Oktober veröffentlicht hatte (KGB III 7/3, 2, S. 1026-
1033), motivierte N. nicht nur am 18. 11. 1888 zu einem gehässigen Brief an
Fritzsch (KSB 8, Nr. 1147, S. 477), sondern auch zu dem nach einigem Hin und
Her erfolgreichen, auf einer Postkarte vom 20. 11. 1888 (KSB 8, Nr. 1152,
S. 483 f.) Fritzsch erstmals unterbreiteten Ansinnen, die bei diesem verlegten,
früheren Werke zurückzukaufen und bei Naumann in Verlag zu geben.
Zugleich deutete N. das durchaus freundliche Echo auf WA systematisch zu
einem allenthalben um sich greifenden Enthusiasmus des Publikums um:
Schon gegenüber Fritzsch behauptete N. am 18. 11. 1888, wegen WA bekomme
er „von allen Seiten wahre Huldigungs-Schreiben, wie über ein Meisterstück
psychologischer Sagacität" (KSB 8, Nr. 1147, S. 477, Z. 10 f.). Nach der einen
oder anderen freundlichen Zuschrift überbordete N.s Selbstbewusstsein: „In
Paris hat mein ,Fall Wagner' Aufsehn gemacht; man sagt mir, ich müsse ein
geborner Pariser sein: — noch nie habe ein Ausländer so französisch gedacht
wie ich im ,Fall'. — Von Petersburg bekomme ich wahre Huldigungs-Schreiben,
eingerechnet Liebeserklärungen. Georg Brandes hält diesen Winter wieder dort
Vorträge. Ich habe jetzt Leser — und, zum Glück, lauter ausgesuchte Intelli-
genzen, die mir Ehre machen — überall, vor allem in Wien, St. Petersburg,
Paris, Stockholm, New-York. Meine nächsten Werke werden sogleich mehrspra-
chig erscheinen." (N. an Overbeck, 17. 12. 1888, KSB 8, Nr. 1194, S. 531, Z. 18-
28; zur Auflistung siehe NK KSA 6, 301, 14-17) Nüchterner und historisch sicher
auch korrekt klingt die Feststellung im Brief an Naumann vom 27. 12. 1888,
man schreibe ihm „von allen Seiten", WA habe für ihn „eigentlich erst eine
wirklich öffentliche Aufmerksamkeit" geschaffen (KSB 8, Nr. 1213, S. 552, Z. 27-
29).
Mochte N. die Bedeutung von WA im Vergleich zu seiner kommenden
„Umwerthung aller Werthe" noch so sehr relativieren, so stand ihm doch deut-
lich vor Augen, dass die öffentliche Wahrnehmung seines Denkens durch WA
einen entscheidenden Schub bekommen hatte. Entsprechend verschob sich die
Aufmerksamkeit von N.s eigener Wahrnehmung von WA denn auch weg von
der Auseinandersetzung mit Wagner als „Duell" zu den allgemeineren Aussa-
gen der Schrift: „Das Wesentlichste der Schrift ist zuletzt nicht die Psychologie
Wagners, sondern die Feststellung des decadence-Charakters unsrer Musik
überhaupt: dies ist eine entscheidende Einsicht, wie sie nur Jemand finden
konnte, der in seinen tiefsten Instinkten Musiker ist und der sich auch von
dem Klügsten der Klugen nichts vormachen läßt." (N. an Adolf Fleischmann,
24. 11. 1888, KSB 8, Nr. 1154, S. 485, Z. 18-23).
Eine Kritik von WA, die der Berufswagnerianer Richard Pohl in dem von
N.s ehemaligem Verleger Ernst Wilhelm Fritzsch herausgegebenen Musikali-
schen Wochenblatt am 25. Oktober veröffentlicht hatte (KGB III 7/3, 2, S. 1026-
1033), motivierte N. nicht nur am 18. 11. 1888 zu einem gehässigen Brief an
Fritzsch (KSB 8, Nr. 1147, S. 477), sondern auch zu dem nach einigem Hin und
Her erfolgreichen, auf einer Postkarte vom 20. 11. 1888 (KSB 8, Nr. 1152,
S. 483 f.) Fritzsch erstmals unterbreiteten Ansinnen, die bei diesem verlegten,
früheren Werke zurückzukaufen und bei Naumann in Verlag zu geben.
Zugleich deutete N. das durchaus freundliche Echo auf WA systematisch zu
einem allenthalben um sich greifenden Enthusiasmus des Publikums um:
Schon gegenüber Fritzsch behauptete N. am 18. 11. 1888, wegen WA bekomme
er „von allen Seiten wahre Huldigungs-Schreiben, wie über ein Meisterstück
psychologischer Sagacität" (KSB 8, Nr. 1147, S. 477, Z. 10 f.). Nach der einen
oder anderen freundlichen Zuschrift überbordete N.s Selbstbewusstsein: „In
Paris hat mein ,Fall Wagner' Aufsehn gemacht; man sagt mir, ich müsse ein
geborner Pariser sein: — noch nie habe ein Ausländer so französisch gedacht
wie ich im ,Fall'. — Von Petersburg bekomme ich wahre Huldigungs-Schreiben,
eingerechnet Liebeserklärungen. Georg Brandes hält diesen Winter wieder dort
Vorträge. Ich habe jetzt Leser — und, zum Glück, lauter ausgesuchte Intelli-
genzen, die mir Ehre machen — überall, vor allem in Wien, St. Petersburg,
Paris, Stockholm, New-York. Meine nächsten Werke werden sogleich mehrspra-
chig erscheinen." (N. an Overbeck, 17. 12. 1888, KSB 8, Nr. 1194, S. 531, Z. 18-
28; zur Auflistung siehe NK KSA 6, 301, 14-17) Nüchterner und historisch sicher
auch korrekt klingt die Feststellung im Brief an Naumann vom 27. 12. 1888,
man schreibe ihm „von allen Seiten", WA habe für ihn „eigentlich erst eine
wirklich öffentliche Aufmerksamkeit" geschaffen (KSB 8, Nr. 1213, S. 552, Z. 27-
29).
Mochte N. die Bedeutung von WA im Vergleich zu seiner kommenden
„Umwerthung aller Werthe" noch so sehr relativieren, so stand ihm doch deut-
lich vor Augen, dass die öffentliche Wahrnehmung seines Denkens durch WA
einen entscheidenden Schub bekommen hatte. Entsprechend verschob sich die
Aufmerksamkeit von N.s eigener Wahrnehmung von WA denn auch weg von
der Auseinandersetzung mit Wagner als „Duell" zu den allgemeineren Aussa-
gen der Schrift: „Das Wesentlichste der Schrift ist zuletzt nicht die Psychologie
Wagners, sondern die Feststellung des decadence-Charakters unsrer Musik
überhaupt: dies ist eine entscheidende Einsicht, wie sie nur Jemand finden
konnte, der in seinen tiefsten Instinkten Musiker ist und der sich auch von
dem Klügsten der Klugen nichts vormachen läßt." (N. an Adolf Fleischmann,
24. 11. 1888, KSB 8, Nr. 1154, S. 485, Z. 18-23).