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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0039
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20 Der Fall Wagner

Nietzsches behandeln; es widert uns an." (Ebd., 1054) „Nietzsche, den wir
früher achten und beachten zu sollen glaubten, ist nun für uns tot" (ebd.,
1055).
N.s treuer Zuarbeiter Heinrich Köselitz alias Peter Gast rührte im zweiten
Novemberheft der Zeitschrift Kunstwart für die Schrift seines Meisters die Wer-
betrommel (KGB III 7/3, 2, S. 1068-1076). Köselitz hebt als N.s eigentliche Ent-
deckung hervor: „Von außerordentlicher Wichtigkeit für die Beurteilung Wag-
ner's ist, was vor Nietzsche noch Niemand deutlich gesehn und hervorgehoben
hat: das Schauspielerische an ihm." (Ebd., 1073) Und dann macht er sich
ganz N.s Selbsteinschätzung zu eigen: „Seine antiromantische, antichristliche,
antirevolutionäre, antidemokratische Kultur, kurz seine Vornehmheit,
scheidet ihn (und schied ihn) für immer von Wagners Sache." (Ebd., 1075) Der
Kunstwart-Herausgeber Ferdinand Avenarius ergänzte diese Lobeshymne um
einige kritische Nachbemerkungen (KGB III 7/3, 2, S. 1076 f.), denen zufolge N.
zwar „einer der geistvollsten und tiefsten Denker unserer Zeit" (ebd., 1076) sei,
aber die in WA gefällten Urteile seien weder widerlegbar noch beweisbar.
„Denn nur Gedankenfehler lassen sich logisch widerlegen, nicht Empfindungs-
fehler." (Ebd.) N. argumentiere aber nicht, sondern dekretiere nur; daher habe
das Werk ihn, Avenarius, „im Gegensatz zu Peter Gast" „als eine sehr unerfreu-
liche Erscheinung" berührt: „das letzte Ergebnis bleibt doch das Bedauern,
daß Friedrich Nietzsche diesmal wie <ein> Feuilletonist geschrieben hat" (ebd.,
1077). N. nimmt diese Nachbemerkungen zum Anlass, zum ersten und einzigen
Mal selbst in die publizistische Auseinandersetzung um sein Werk mit einem
eigenen Zeitschriftenbeitrag einzugreifen, nämlich mit zwei Briefen an Avena-
rius, von denen er am 10. 12. 1888 auf einer Postkarte verlangt, dass sie „wört-
lich im ,Kunstwart' wiederzugeben" seien (KSB 8, Nr. 1185, S. 519, Z. 3 f.). Tat-
sächlich erschienen diese offenen Briefe, mit denen N. quasi Avenarius' Urteil
beglaubigen zu wollen schien, er wolle sich nun als Feuilletonist betätigen, im
zweiten Dezemberheft des Kunstwarts (vgl. auch Schaberg 2002, 223 f.). Da
diese Publikation N.s nicht in Collis und Montinaris Ausgabe der Werke N.s
Aufnahme fand, sondern nur in der Briefedition abgedruckt ist, sei sie hier
nach KSB 8, Nr. 1183 u. 1184, S. 516-518 integral wiedergegeben (vgl. die aus-
führlicheren Sacherläuterungen KGB III 7/3, 1, S. 484-488):
... Ich bin Ihnen aufrichtig dankbar für Ihre Kritik, mehr noch als für die ausgezeichneten
Worte des Herrn Gast, — ich las sie mit Entzücken, Sie haben, ohne es zu wissen, mir
das Angenehmste gesagt, was mir jetzt gesagt werden konnte. In diesem Jahre, wo eine
ungeheure Aufgabe, die Umwertung aller Werte, auf mir liegt und ich, wörtlich
gesagt, das Schicksal der Menschen zu tragen habe, gehört es zu meinen Beweisen der
Kraft, in dem Grade Hanswurst, Satyr oder, wenn Sie es vorziehen, „Feuilletonist" zu
sein, — sein zu können, wie ich es im „Fall Wagner" gewesen bin. Daß der tiefste Geist
auch der frivolste sein muß, das ist beinahe die Formel für meine Philosophie: es könnte
 
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