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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0040
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Überblickskommentar 21

sein, daß ich mich schon über ganz andere „Größen" auf eine unwahrscheinliche Weise
erheitert habe...
Zuletzt thut das meiner persönlichsten Pietät gegen Wagner am wenigsten Abbruch; noch
im vorigen Monat habe ich jener unvergeßlichen Zeit der Intimität zwischen uns ein Denk-
mal gesetzt, das dauern wird: in einem Werke, das jetzt im Druck ist und das jeden
Zweifel über mich wegnehmen wird. Auch Ihren Zweifel, sehr werter und lieber Herr!
Der „jüngere" Nietzsche ist niemals über den Punkt-Wagner- mit dem „älteren" Nietzsche
in Widerspruch gewesen: es bliebe wohl zu beweisen, daß jenes x von Wesen, dessen
Psychologie in der vierten Unzeitgemäßen gegeben wird, wirklich etwas mit dem Gatten
von Frau Cosima zu thun hat oder... — Wissen Sie eigentlich, daß Herr Peter Gast der
erste Musiker ist, der jetzt lebt, — Einer der Seltenen zu allen Zeiten, die das Vollkom-
mene können? — Die Musiker, unter uns, finden, ich hätte alles bewiesen, nur zu
sehr... Man schreibt mir Briefe über Briefe...
... Vergeben Sie mir, in aller Heiterkeit, eine Nachschrift: es scheint, es geht beim Fall
Wagner nicht ohne Nachschrift ah. — Warum haben Sie eigentlich Ihren Lesern die
Hauptsache vorenthalten? Daß meine „Sinnesänderung", wie Sie es nennen, nicht
von gestern ist? Ich führe nunmehr seit 10 Jahren Krieg gegen die Verderbnis von
Bayreuth, — Wagner hielt mich seit 1876 für seinen eigentlichen und einzigen Gegner, die
Spuren davon sind überreich in seinen späteren Schriften. Der Gegensatz eines decadent
und einer aus der Überfülle der Kraft herausschaffenden, das heißt dionysischen
Natur, der das Schwerste Spiel ist, ist ja zwischen uns handgreiflich (ein Gegensatz, der
vielleicht in fünfzig Stellen meiner Bücher ausgedrückt ist, z. B. in der „fröhl. Wissen-
schaft" S. 312 ff). Wir sind verschieden wie arm und reich. Unter Musikern ist ja über
die Armut Wagners gar kein Zweifel; vor mir, vor dem auch die Verstocktesten ehrlich
werden, sind auch die extremen Parteigänger seiner Sache über diesen Punkt ehrlich
geworden. Wagner war mir als Typus unschätzbar; ich habe an unzähligen Stellen den
biologischen Gegensatz des verarmten und, folglich, raffinirten und brutalen
Kunstinstinkts zum reichen, leichten, im Spiele sich echt bejahenden dargestellt — verge-
hen Sie mir! sogar mit der von Ihnen gewünschten „ruhig sachlichen Entwickelung der
Gründe". Eine kleine Hand voll Stellen: Menschl. Allzumenschl. (— vor mehr als
10 Jahren geschrieben)
2,62 ff. decadence und Berninismus im Stil W.'s.
2,51 seine nervöse Sinnlichkeit,
2,60 Verwilderung im Rhythmischen,
2,76 Katholizismus des Gefühls, seine „Helden" physiologisch unmöglich.
Wanderer u. Schatten 93 gegen das espressivo um jeden Preis.
Morgenröte 225 die Kunst W.s, den Laien in der Musik zu täuschen.
Fröhl. Wissenschaft 309 W. Schauspieler durch und durch, auch als Musiker. 110
Bewunderungswürdig im Raffinement des sinnlichen Schmerzes.
Jenseits von Gut und Böse 221 Wagner zum kranken Paris gehörig, eigentlich
ein französischer Spät-Romantiker, wie Delacroix, wie Berlioz, alle mit einem fond von
Unheilbarkeit auf dem Grunde und, folglich, Fanatiker des Ausdrucks.
— Warum ich das Alles Ihnen schreibe? Weil man in St. Petersburg und in Paris mich
ebenso ernst nimmt und liest, wie nachlässig im „Vaterlande"... Nachlässig — was für
ein Euphemismus...

N.s ungewöhnliches Eingreifen in die Debatte um seine eigene Schrift ist Aus-
druck der verstärkten Selbstvermarktungstendenzen, die sich in seinem Schaf-
 
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