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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0046
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Stellenkommentar WA Vorwort, KSA 6, S. 9-11 27

nicht nur „an wie eine Novelle" von Prosper Merimee, sondern beruht — text-
lich bearbeitet von Henri Meilhac und Ludovic Halevy — auf einer solchen,
nämlich der 1847 erschienenen Carmen (was N. schließlich auch klar wird, vgl.
den Brief an Köselitz, 08. 12. 1881, KSB 6, Nr. 177, S. 147, Z. 2-6). N.s Carmen-
Begeisterung hielt einige Zeit an (vgl. z. B. N. an Köselitz, 05. 01. 1882, KSB 6,
Nr. 185, S. 154, Z. 10 f.); er machte sich auch mit anderen Werken Bizets vertraut
(vgl. dazu und zu N.s häufigen Carmen-Besuchen NK 13, 5 f.). In JGB 254, KSA
5, 200, 13-21 wurde Bizet bei seinem ersten Erscheinen in einem N.-Werk
bereits auf eine hohe Stufe gestellt: „Auch jetzt noch giebt es in Frankreich
ein Vorverständniss und ein Entgegenkommen für jene seltneren und selten
befriedigten Menschen, welche zu umfänglich sind, um in irgend einer Vater-
länderei ihr Genüge zu finden und im Norden den Süden, im Süden den Nor-
den zu lieben wissen, — für die geborenen Mittelländler, die ,guten Euro-
päer'. — Für sie hat Bizet Musik gemacht, dieses letzte Genie, welches eine
neue Schönheit und Verführung gesehn, — der ein Stück Süden der Musik
entdeckt hat." Das Motiv der Bizet charakterisierenden, dem schwermütigen
Norden entgegengesetzten Südlichkeit zieht sich durch N.s nicht sehr zahlrei-
che Äußerungen über Bizet, vgl. z. B. NL 1887/88, KSA 13, 11[49], 23, 27-24, 1
(korrigiert nach: KGW IX 7, W II 3, 178, 25-34-179, hier in der ursprünglichsten
Version wiedergegeben): „— der Geniestreich Bizet's, welcher einer neuen Sen-
sibilität, die bisher in der gebildeten Musik noch keine Sprache hat, zum
Klange verhalf, einer südlicheren und verbrannteren Sensibilität, welche vom
feuchten Norden aus nicht zu verstehen ist. Fern vom vaporeusen Idealismus
des deutschen Gemüths, nichts für deutsche Jünglinge, gehörnte Siegfriede
und andere Wagnerianer." Dieselbe Passage lautet in einer späteren, von N.
korrigierten Version: „Aus dem ungeheuren Bereiche der Kunst, welche anti-
deutsch ist und bleiben wird und von dem ein für alle Mal deutsche Jünglinge,
gehörnte Siegfriede und andere Wagnerianer ausgeschlossen sind: — der
Geniestreich Bizet's, welcher einer neuen — ach so alten — Sensibilität, die
bisher in der gebildeten Musik Europas noch keine Sprache gehabt hatte,
zum Klange verhalf, einer südlicheren/,) brauneren [übergangsweise hieß es
an dieser Stelle: heidnischeren]/,) verbrannteren Sensibilität, welche freilich
nicht vom feuchten Idealismus des Nordens aus zu verstehen ist". Zum Thema
vgl. Perrakis 2008 und Leiner 1995.
Dennoch verrät N. in seinem Brief an Carl Fuchs vom 27. 12. 1888 das strate-
gische Interesse an der Entgegensetzung von Bizet und Wagner: „Das, was ich
über Bizet sage, dürfen Sie nicht ernst nehmen; so wie ich bin, kommt B(izet)
Tausend Mal für mich nicht in Betracht. Aber als ironische Antithese gegen
W(agner) wirkt es sehr stark; es wäre ja eine Geschmacklosigkeit ohne Glei-
chen gewesen, wenn ich etwa von einem Lobe Beethovens hätte ausgehen
 
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