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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0069
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50 Der Fall Wagner

(Italiänisch zu singen, nicht deutsch!)" (Ebd., 27) Das Zwischenspiel zum
4. Akt tituliert N. als „Das Fieber der todtbereiten Leidenschaft." (Ebd., 58).
15, 22 Nicht die Liebe einer „höheren Jungfrau"!] Der Ausdruck „höhere Jung-
frau" ist eine ironische Kontamination von „höherer Tochter" und der „reinen
Jungfrau", die Elisabeth in Wagners Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wart-
burg (2. Aufzug, 4. Szene) zu sein beansprucht: „Werft von euch das wilde
Schwert, / und gebt Gehör der reinen Jungfrau Wort!" (Wagner 1871-1873, 2,
36 = Wagner 1907, 2, 27) Landgraf, Ritter und Sänger hatten eben noch gefragt:
„Was seh' ich? Wie, Elisabeth! / Die keusche Jungfrau für den Sünder?" (Wag-
ner 1871-1873, 2, 35 = Wagner 1908, 2, 26) Als „höhere Tochter" gilt im 19. Jahr-
hundert ein Mädchen oder eine junge Frau aus gehobenem bürgerlichem
Milieu, die künftig nur Gattin, Mutter und Hausfrau sein würde und entspre-
chend keinen Brotberuf zu erlernen hatte.
15, 22 f. Keine Senta-Sentimentalität!] Zum Duett von Don Jose und Carmen
„Hier am Herzen treu geborgen" glossiert N. im Klavierauszug: „Zart und idea-
listisch und nicht sentimental." (Daffner o. J., 42) Senta rettet in Wagners Flie-
gendem Holländer durch ihre Liebe und ihren Opfertod den Titelhelden.
15, 23 f. Sondern die Liebe als Fatum, als Fatalität, cynisch, unschuldig,
grausam] Vgl. NK 13, 25 f. „Fatum (lat., ,Spruch'), bei den Römern der von den
Göttern, namentlich von Jupiter, ausgesprochene Götterwille, ein fest bestimm-
tes, unwiderrufliches Geschick, das gute wie das schlimme Lebenslos, dann
auch s. v. w. Lebensziel, Tod", Schicksal (Meyer 1885-1892, 6, 70). Der Aus-
druck „cynisch" spielt hier nicht auf den antiken Kynismus an, sondern meint
„schamlos, Sitte und Anstand verachtend" (Meyer 1885, 4, 384). Zum (philoso-
phischen) Kynismus in N.s Spätwerk vgl. NK KSA 6, 302, 26-30 und im Blick
auf Wagner NK KSA 6, 418, 3 f.
15, 25-34 Die Liebe, die in ihren Mitteln der Krieg, in ihrem Grunde der Tod-
hass der Geschlechter ist! — Ich weiss keinen Fall, wo der tragische Witz, der
das Wesen der Liebe macht, so streng sich ausdrückte, so schrecklich zur Formel
würde, wie im letzten Schrei Don Jose's, mit dem das Werk schliesst: / „Ja! Ich
habe sie getödtet, / ich — meine angebetete Carmen!" — Eine solche Auffassung
der Liebe (die einzige, die des Philosophen würdig ist —) ist selten: sie hebt ein
Kunstwerk unter Tausenden heraus.] Vgl. NK KSA 6, 306, 17-20. Im Klavieraus-
zug von Carmen vermerkt N. zum abschließenden Duett von Carmen und Jose:
„Letzte Scene ein dramatisches Meisterstück — zu studiren! Auf Steigerun-
gen, Contraste, Logik usw." (Daffner o. J., 62) Liebe ist in Carmen keineswegs
wie in Wagners Werken eine idealistisch verklärte Angelegenheit, sondern in
ihr manifestieren sich leibliche Urkräfte jenseits aller Idealität. Entsprechend
 
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