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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0074
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Stellenkommentar WA 3, KSA 6, S. 16-17 55

kalischen Angaben, ist auch weder Hans von Wolzogen (1876) mit Blick auf
Wagner oder Friedrich Wilhelm Jähn (1871) mit Blick auf Carl Maria von Weber
der Erfinder des Wortes. Bereits August Wilhelm Ambros bedient sich des Aus-
drucks 1865 in seinen Culturhistorischen Bildern aus dem Musikleben der Gegen-
wart mit großer Selbstverständlichkeit: „Die von Wagner zu einer Art System
ausgebildete Idee, an das Melodiegedächtniß des Hörers appellirend, beson-
dere Beziehungen in die Musik zu bringen, ist an sich nicht neu. [...] Einen
sehr sinnreichen Rückblick auf den Spottchor bringt Weber in der Wolf-
schluchtscene an — und der bekannte, diabolische Terztriller ist das eigentli-
che höllische Jubelmotiv Kaspars, da er im Trinkliede, in der Arie und in der
Wolfsschluchtsscene wiederkehrt. Meyerbeer lässt in Robert das Motiv der
Romanze Raimbauds, das Rittermotiv der vier Pauken an bezeichnenden Stel-
len immer wieder auftauchen, ebenso in den Hugenotten den Choral und in
der Musik zu Struensee sind die bezeichnenden Motive, die man Königinmotiv,
Hofintriguemotiv, Gardemotiv, Pastormotiv u. s. w. nennen könnte, schon völlig
so verwendet, wie Wagner im Lohengrin seine Leitmotive benützt. Dergleichen
ist ganz gut und zweckmäßig, so lange es nur nicht zur Hauptsache wird, denn
sonst fühlt man sich wirklich an den lustigen Einfall im parodirten ,Robert
dem Teufel' gemahnt, wo Bertram eine schwarze roth gefütterte Jacke an hat,
und, so oft er sie mit dem Rothen nach Außen trägt, Teufel, dagegen, wenn er
das Schwarze herauskehrt, zärtlicher Vater ist, und durch dieses ,Leitmotiv'
den Zuschauer immer gleich orientirt." (Ambros 1865, 191, Fn.) N. geht mit dem
Ausdruck „Leitmotiv" sparsam um; in seinen Werken erscheint es in 17, 1 zum
ersten Mal und kehrt nur einmal in der sarkastischen Wendung WA 8, KSA 6,
32, 1-5 wieder. Im späten Nachlass wendet N. den Begriff gelegentlich auch
auf außermusikalische Sphären an (NL 1888, KSA 13, 14[134], 318, 26 = KGW
IX 8, W II 5, 78, 36; NL 1888, KSA 13, 21[7], 581, 20 = KGW IX 3, N VII 4, 58,
14). Musikalisch wird er in NL 1888, KSA 13, 16[79], 512, 5 mit der ,„fixe[n]
Idee'" der zeitgenössischen Psychopathologie gleichgesetzt.
17, 2-4 Wer lehrte es uns, wenn nicht Wagner, dass die Unschuld mit Vorliebe
interessante Sünder erlöst? (der Fall im Tannhäuser)] In der „Großen romanti-
schen Oper" Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg (1845) hält sich der
titelgebende Ritter zunächst im Berg der Venus auf. Dieses Reiches der Sinn-
lichkeit überdrüssig, geht er zurück unter die Menschen, preist im Sängerkrieg
auf der Wartburg die Frau Venus, wofür er verdammt wird. Auf die Fürsprache
der ihn liebenden Elisabeth soll er dann doch in Rom Buße tun, aber der Papst
verweigert die Vergebung: „Wie dieser Stab in meiner Hand / nie mehr sich
schmückt mit frischem Grün, / kann aus der Hölle heißem Brand / Erlösung
nimmer dir erblühn!" (3. Aufzug, 3. Szene) Elisabeths entsagungsvoller Liebes-
tod hindert Tannhäuser schließlich daran, sich in den Venusberg zurückzube-
 
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