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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0085
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66 Der Fall Wagner

eine fremde Seele, mitunter selbst in ein fremdes Fleisch — ach! wie sehr immer
auf „des Wirthes" Unkosten!] Als Parasitismus gilt „in der Naturwissenschaft
dasjenige Verhältnis, bei welchem ein Organismus (der Parasit) an oder in
einem andern fremden Organismus (dem Wirt) und mehr oder weniger auf
dessen Kosten lebt" (Meyer 1885-1892, 12, 712). Einen derart allgemeinen
Begriff des Parasitismus benutzt N. in MA I 356, KSA 2, 253, 19-25: „Der
Parasit. — Es bezeichnet einen völligen Mangel an vornehmer Gesinnung,
wenn Jemand lieber in Abhängigkeit, auf Anderer Kosten, leben will, um nur
nicht arbeiten zu müssen, gewöhnlich mit einer heimlichen Erbitterung gegen
Die, von denen er abhängt. — Eine solche Gesinnung ist viel häufiger bei
Frauen als bei Männern, auch viel verzeihlicher (aus historischen Gründen)."
Über den Parasitismus in der Biologie hat sich N. — wie zahlreiche Lesespuren
beweisen (NPB 218) — nach MA I z. B. bei Espinas 1879, 148-158 kundig
gemacht. „Fassen wir den Parasitismus auf als einen besonderen Fall des
Kampfes ums Daseins, d. h. einer Feindschaft zwischen zwei divergirenden
Thätigkeiten, so muss er uns, abgesehen /151/ von dem vollständigen Verzeh-
ren des Schwachen durch den Starken, als der schwerste von allen erscheinen.
[...] Sobald ein Thier sich nicht mehr in den Geweben oder den Körperhöhlen
eines anderen aufhält, oder wenn auch nur vorübergehend auf der Oberfläche
seiner Organe sich festsetzt, kurz, sobald es sich nicht mehr von der Substanz
eines anderen nährt, sondern sich mit einem Theile der von diesem aufgespei-
cherten oder übrig gelassenen Nahrungsmittel begnügt und beständig ausser-
halb seiner lebt, hört es auf, Parasit zu sein und wird Commensuale." (Espinas
1879, 150 f., vgl. ferner Caspari 1877, 1, 43 und Roux 1881, 150 f., dazu NL 1883,
KSA 10, 7[197], 304). Zum Parasitismus siehe auch NK KSA 6, 313, 21 f. Freilich
sind N.s Quellen für den Parasitismus nicht nur naturwissenschaftlich; er ent-
lehnt auch aus Kuno Fischers Darstellung der Mitleidkritik bei Kant den Aus-
druck „Parasit" für die Wirkung des Mitleids (Fischer 1860, 2, 272), vgl. NK
KSA 6, 173, 1-5 u. 173, 5 f. Joly 1888, 115-127 erörtert den Begriff des Parasiten
in kriminalistischer Hinsicht; zum antisemitischen Gebrauch vgl. NK KSA 6,
196, 22, ferner auch Ward 2002.
18, 19 f. Man kennt das Schicksal Goethe's im moralinsauren altjungfernhaften
Deutschland.] Die Passage 18, 19-19, 14 ist wie viele der anderen Goethe-Stellen
1888 stark von der Lektüre von Viktor Hehns (1813-1890) Gedanken über Goe-
the beeinflusst, vgl. NK KSA 6, 106, 17-21. Das Kapitel „Goethe und das Publi-
kum. Eine Literaturgeschichte im Kleinen" (Hehn 1888, 50-189) stellt Goethe
als einen Dichter dar, der von seinen deutschen Zeitgenossen (und Nachgebo-
renen) völlig unverstanden geblieben sei (vgl. z. B. ebd., 109). Diese Ausnah-
mestellung des singulären Unverstandenen, die Goethe bei Hehn eingeräumt
wird, bescheinigt N. sich selbst in seinen Schriften von 1888; damit lag die
 
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