Stellenkommentar WA 5, KSA 6, S. 22-23 85
einem anonymen Artikel unter dem Titel „Nibelungen"-Referate V (Schluss)
1877: „Wo er [sc. Wagner] sein Herzblut opferte, muss er den Vorwurf bewusster
Täuschung, Cagliostro'schen Betrugs ertragen! Solche Verunglimpfung allein
ruft die entschiedenste Reaction hervor und würde die überschwänglichste
Verehrung des Meisters seitens der Oeffentlichkeit vollauf rechtfertigen."
(Musikalisches Wochenblatt, Jg. 8, Nr. 8, 1877, 16. Februar 1877, S. 111) Nach
Wilhelm Tapperts Wagner-Lexicon hat die Wendung einen berühmten Paten:
„Cagliostro der Tagesmusik nannte Karl Gutzkow in einem Artikel der
,Neuen Freien Presse' (1873, Nr. 3181) Richard Wagner." (Tappert 1877, 6)
Im Nachlass 1881, KSA 9, 11[261], 540, 9-16 sieht sich N. als Verteidiger der
„Reinheit der Musik", der verhindern will, dass sie „zu mystischen halbreli-
giösen Zwecken mißbraucht wird: — jeder kommende Hexenmeister und Cagli-
ostro wird versuchen, mit Musik und Spiritismus zu wirken, und es sind Wie-
dererweckungen religiöser und sittlicher Instinkte auf diesem Wege möglich".
Wagner wird hier noch nicht als bereits erschienener, musikalischer Cagliostro
beim Namen genannt. Anders ist die Konstellation in FW 99, wo N. zwar kon-
statiert, dass Wagner sich Schopenhauers bedient habe, er aber eigentlich bes-
ser beraten gewesen wäre, sich eine andere Philosophie zu suchen, da Scho-
penhauer eigentlich nicht für Wagner passe. Aber „nicht nur reizt ihn dazu der
ganze geheimnissvolle Prunk dieser Philosophie, welche auch einen Cagliostro
gereizt haben würde: auch die einzelnen Gebärden und die Affecte der Philoso-
phen waren stets Verführer!" (KSA 3, 455, 26-30) In WA 4 wird demgegenüber
Schopenhauers Denken passgenau für Wagners Anforderungen gemacht; und
in WA 5 die direkte Identifikation von Wagner und Cagliostro vollzogen. Ver-
mutlich am 13. 07. 1882 hatte N. sich bereits in einem Briefentwurf an Malwida
von Meysenbug angesichts der Parsifal-Musik über die „Cagliostricität
ihres Urhebers" beschwert (KSB 6, Nr. 264, S. 224, Z. 60; ähnlich an Köselitz,
25. 07. 1882, KSB 6, Nr. 272, S. 231, Z. 43), nicht ohne Köselitz am 30. 07. 1882
zuzurufen: „Hoch lebe Cagliostro!" (KSB 6, Nr. 275, S. 233, Z. 16). In NL 1885,
KSA 11, 40[64], 662, 19-28 (korrigiert nach KGW IX 4, W I 7, 23, 2-12, hier ohne
durchgestrichene Passagen wiedergegeben) wird N. bei der Erörterung des Cag-
liostro-Vorwurfs ausführlicher und führt ihn auf die bezaubernde Wirkung
Wagners zurück: „Ich habe mir lange Zeit die allerbeste Mühe gegeben, in R.
W(agner) eine Art von Cagl(iostro) zu sehen: man vergebe mir diesen nicht
unbedenklichen Einfall, der zum mindesten nicht vom Haß und der Abneigung
eingegeben ist, sondern von der Bezauberung, welche dieser unvergl(eichliche)
Mensch auch auf mich ausgeübt hat: hinzugerechnet, daß nach meiner
Beobachtung die wirklichen ,Genies', die Ächten höchsten Ranges, allesammt
nicht dergestalt ,bezaubern'(,) so daß ,das Genie' allein mir nicht zur Erklä-
rung jenes geheimnißvollen Einflusses auszureichen schien." Richard und
einem anonymen Artikel unter dem Titel „Nibelungen"-Referate V (Schluss)
1877: „Wo er [sc. Wagner] sein Herzblut opferte, muss er den Vorwurf bewusster
Täuschung, Cagliostro'schen Betrugs ertragen! Solche Verunglimpfung allein
ruft die entschiedenste Reaction hervor und würde die überschwänglichste
Verehrung des Meisters seitens der Oeffentlichkeit vollauf rechtfertigen."
(Musikalisches Wochenblatt, Jg. 8, Nr. 8, 1877, 16. Februar 1877, S. 111) Nach
Wilhelm Tapperts Wagner-Lexicon hat die Wendung einen berühmten Paten:
„Cagliostro der Tagesmusik nannte Karl Gutzkow in einem Artikel der
,Neuen Freien Presse' (1873, Nr. 3181) Richard Wagner." (Tappert 1877, 6)
Im Nachlass 1881, KSA 9, 11[261], 540, 9-16 sieht sich N. als Verteidiger der
„Reinheit der Musik", der verhindern will, dass sie „zu mystischen halbreli-
giösen Zwecken mißbraucht wird: — jeder kommende Hexenmeister und Cagli-
ostro wird versuchen, mit Musik und Spiritismus zu wirken, und es sind Wie-
dererweckungen religiöser und sittlicher Instinkte auf diesem Wege möglich".
Wagner wird hier noch nicht als bereits erschienener, musikalischer Cagliostro
beim Namen genannt. Anders ist die Konstellation in FW 99, wo N. zwar kon-
statiert, dass Wagner sich Schopenhauers bedient habe, er aber eigentlich bes-
ser beraten gewesen wäre, sich eine andere Philosophie zu suchen, da Scho-
penhauer eigentlich nicht für Wagner passe. Aber „nicht nur reizt ihn dazu der
ganze geheimnissvolle Prunk dieser Philosophie, welche auch einen Cagliostro
gereizt haben würde: auch die einzelnen Gebärden und die Affecte der Philoso-
phen waren stets Verführer!" (KSA 3, 455, 26-30) In WA 4 wird demgegenüber
Schopenhauers Denken passgenau für Wagners Anforderungen gemacht; und
in WA 5 die direkte Identifikation von Wagner und Cagliostro vollzogen. Ver-
mutlich am 13. 07. 1882 hatte N. sich bereits in einem Briefentwurf an Malwida
von Meysenbug angesichts der Parsifal-Musik über die „Cagliostricität
ihres Urhebers" beschwert (KSB 6, Nr. 264, S. 224, Z. 60; ähnlich an Köselitz,
25. 07. 1882, KSB 6, Nr. 272, S. 231, Z. 43), nicht ohne Köselitz am 30. 07. 1882
zuzurufen: „Hoch lebe Cagliostro!" (KSB 6, Nr. 275, S. 233, Z. 16). In NL 1885,
KSA 11, 40[64], 662, 19-28 (korrigiert nach KGW IX 4, W I 7, 23, 2-12, hier ohne
durchgestrichene Passagen wiedergegeben) wird N. bei der Erörterung des Cag-
liostro-Vorwurfs ausführlicher und führt ihn auf die bezaubernde Wirkung
Wagners zurück: „Ich habe mir lange Zeit die allerbeste Mühe gegeben, in R.
W(agner) eine Art von Cagl(iostro) zu sehen: man vergebe mir diesen nicht
unbedenklichen Einfall, der zum mindesten nicht vom Haß und der Abneigung
eingegeben ist, sondern von der Bezauberung, welche dieser unvergl(eichliche)
Mensch auch auf mich ausgeübt hat: hinzugerechnet, daß nach meiner
Beobachtung die wirklichen ,Genies', die Ächten höchsten Ranges, allesammt
nicht dergestalt ,bezaubern'(,) so daß ,das Genie' allein mir nicht zur Erklä-
rung jenes geheimnißvollen Einflusses auszureichen schien." Richard und