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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0109
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90 Der Fall Wagner

zum Ausgangspunkt seiner „Sieben Versuche" Das menschliche Ermessen (Wal-
ser 2002, 91).
24, 9 gehörnte Siegfriede] Vgl. NL 1887/88, KSA 13, 11[4], 10, 5 f. (KGW IX 7, W
II 3, 198, 36) u. NL 1887/88, KSA 13, 11[49], 23, 26 (KGW IX 7, W II 3, 178, 25 u.
179). Siegfried trägt den Beinamen „der Gehörnte" (oder „Hörnen Siegfried"),
weil seine Haut nach dem Baden im Blut des von ihm getöteten Drachens
unverletztlich geworden ist. Der Titel des ersten Teiles von Friedrich Hebbels
1861 erschienenem Trauerspiel Die Nibelungen trägt den Titel Der Gehörnte
Siegfried. Die Wendung ist sprichwörtlich, vgl. z. B. Arthur Schopenhauer in
den „Paränesen und Maximen" des 1. Bandes der Parerga und Paralipomena:
„Gegen die täglichen Hudeleien, kleinlichen Reibungen im menschlichen Ver-
kehr, unbedeutende Anstöße, Ungebührlichkeiten Anderer, Klatschereien
u. dgl. m. muß man ein gehörnter Siegfried seyn, d. h. sie gar nicht empfinden,
weit weniger sich zu Herzen nehmen und darüber brüten; sondern von dem
Allen nichts an sich kommen lassen, es von sich stoßen, wie Steinchen, die
im Wege liegen, und keineswegs es aufnehmen in das Innere seiner Ueberle-
gung und Rumination." (Schopenhauer 1873-1874, 5, 505).
24, 10 f. bedarf des Erhabenen, des Tiefen, des Überwältigenden] In der Geburt
der Tragödie wird die klassische Unterscheidung zwischen dem „Schönen" und
dem „Erhabenen", die N. aus der von Pseudo-Longinus bis Burke, Schiller und
Hegel reichenden Diskussion geläufig ist, fortgeführt (GT 19, KSA 1, 127, 22-33)
und in eine Polemik gegen einen braven Schönheitsbegriff umgemünzt. In der
Tragödie — namentlich des Aischylos — wird dem frühen N. zufolge „das
Erhabene als die künstlerische Bändigung des Entsetzlichen" (GT 7, KSA
1, 57, 24 f., vgl. auch KGW II 2, 27) erreicht. Für Wagners musikästhetisches
Selbstverständnis ist das Erhabene wiederum eine zentrale Kategorie, auch
wenn er es zunächst nicht selbst in Anspruch nimmt, sondern in der Beetho-
ven-Festschrift von 1870 auf diesen Meister projiziert: „Die Musik, welche ein-
zig dadurch zu uns spricht, daß sie den allerallgemeinsten Begriff des an sich
dunklen Gefühles in den erdenklichsten Abstufungen mit bestimmtester Deut-
lichkeit uns belebt, kann an und für sich einzig nach der Kategorie des Erha-
benen beurtheilt werden, da sie, sobald sie uns erfüllt, die höchste Extase
des Bewußtseins der Schrankenlosigkeit erregt." (Wagner 1871-1873, 9, 97 =
Wagner 1907, 9, 78) N.s Wagner-Schrift von 1876 zufolge ist es, trotz komödianti-
scher Elemente in seinem Leben, Wagner selbst, „der mehr als irgend ein ande-
rer im Erhabenen und im Ueber-Erhabenen allein frei athmen" (UB IV WB 3,
KSA 1, 441, 28 f.) könne. Während N. sich im Frühwerk ganz auf die Seite der
Erhabenheitsästhetik schlägt, die er in Wagner personifiziert findet, kühlt sich
danach mit der Wagner-Euphorie auch seine Begeisterung für das Erhabene
 
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