Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0139
Lizenz: In Copyright

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
120 Der Fall Wagner

aufgeregt [...] Hier liegt Wagner's Bedeutung: er versucht die Tyrannis mit
Hülfe der Theatermassen." (Vgl. NK 37, 30-33).
29, 28 f. sein Pathos wirft jeden Geschmack, jeden Widerstand über den Hau-
fen] Vgl. NK 32, 23-28. In der zeitgenössischen Publizistik war Wagners Pathos
ein wichtiges Thema: „Pathos. ,Einen ungemein lächerlichen Pathos sieht die
Welt in dem Aufsatze gegen das Judenthum.' (M. Gutmann, 1869.) ,Ein höl-
zernes Pathos kämpft mit den von allen Seiten hereinbrechenden Wogen
der Trivialität.' (Ed. Hanslick, 1859, über das Duett im ,Fliegenden Hollän-
der'.)" (Tappert 1877, 28) Der auf Überwältigung abzielenden Pathetik Wagners
stellt N. in WA 1, KSA 6, 14, 26 f. das „philosophische Pathos" gegenüber, das
gerade nicht auf Verschleierung und Irreführung, sondern auf Erhellung
abzielt. Nach UB IV WB 9 ist das „Pathos" in der Musik eine neue Erfindung,
die sich erst allmählich Bahn gebrochen habe, um in Wagners Schaffen zu
kulminieren: „Die Musik hatte vor Wagner im Ganzen enge Gränzen; sie bezog
sich auf bleibende Zustände des Menschen, auf Das, was die Griechen Ethos
nennen, und hatte mit Beethoven eben erst begonnen, die Sprache des Pathos,
des leidenschaftlichen Wollens, der dramatischen Vorgänge im Innern des
Menschen, zu finden." (KSA 1, 491, 9-14) In WA 8 wird nun gerade der Versuch
Wagners, durch die Dehnung das Pathos in einen bleibenden Zustand zu ver-
wandeln, als besonders dekadent und zugleich gefährlich verführerisch
gebrandmarkt, vgl. 29, 30-30, 2.
29, 30-30, 2 Dies Athem-Anhalten des Wagnerischen Pathos, dies Nicht-mehr-
loslassen-Wollen eines extremen Gefühls, diese Schrecken einflössende Länge
in Zuständen, wo der Augenblick schon erwürgen will!] Diese Kritik an der Länge
von Kompositionen und ihrer einzelnen Bestandteile hat übrigens 1659 bereits
Pierre Perrin vorgebracht, und zwar in einem Brief, der das damalige italieni-
sche Opernwesen ins Visier nahm (Pougin 1881, 63 f.): „Das Entscheidende
darin [nämlich in Arthur Pougins Les vrais createurs de l'opera frangais] ist ein
langer Brief jenes originellen Geistes, dem man die französische Oper ver-
dankt, Perrin's, von 1659. Darin wird methodisch, in 9 Rubriken, aufgezählt,
was den Franzosen an der damaligen italiänischen Oper widerstand, und
woraufhin die Neuerung gewagt wurde. Der Brief, im genannten Buche zum
ersten Male wieder abgedruckt, ist ein capitales Faktum für die Culturge-
schichte." (N. an Köselitz, 20. 12. 1887, KSB 8, Nr. 964, S. 211, Z. 14-S. 212, Z. 21).
30, 4 nämlich ein unvergleichlicher Histrio] „Histrio" war die Bezeichnung des
Schauspielers im antiken Rom, vgl. FW 36, KSA 3, 405. In NL 1888, KSA 13,
15[6]8, 408, 7-13 heißt es: „Zuletzt erwägen wir doch das Entscheidende: was
charakterisirt die Wagnersche Künstlerschaft? der Histrionismus, das in-Scene-
Setzen, die Kunst der etalage, der Wille zur Wirkung um der W(irkung) willen,
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften