126 Der Fall Wagner
einzelne Elemente, das Fehlen einer synthetisierenden Kraft, damit decadence
in Reinkultur.
31, 5-9 er will Nichts als die Wirkung. Und er kennt das, worauf er zu wirken
hat! — Er hat darin die Unbedenklichkeit, die Schiller hatte, die jeder Theater-
mensch hat, er hat auch dessen Verachtung der Welt, die er sich zu Füssen legt!...]
Die Polemik gegen die reine Wirkungsorientierung wandelt einen Vorwurf ab,
den Wagner selbst in Oper und Drama gegen Giacomo Meyerbeer erhoben
hatte: Dort hatte er zwischen Effekt und Wirkung unterschieden und nur letz-
tere gutgeheißen: „Das Geheimniß der Meyerbeer'schen Opernmusik ist — der
Effekt. Wollen wir uns erklären, was wir unter diesem ,Effekte' zu verstehen
haben, so ist es wichtig, zu beachten, daß wir uns gemeinhin des näherliegen-
den Wortes ,Wirkung' hierbei nicht bedienen. Unser natürliches Gefühl stellt
sich den Begriff ,Wirkung' immer nur im Zusammenhänge mit der vorherge-
henden Ursache vor: wo wir nun, wie im vorliegenden Falle, unwillkürlich
zweifelhaft darüber sind, ob ein solcher Zusammenhang bestehe, oder wenn
wir sogar darüber belehrt sind, daß ein solcher Zusammenhang gar nicht vor-
handen sei, so sehen wir in der Verlegenheit uns nach einem Worte um, das
den Eindruck, den wir z. B. von Meyerbeer'schen Musikstücken erhalten zu
haben vermeinen, doch irgendwie bezeichne, und so wenden wir ein ausländi-
sches, unserem natürlichen Gefühle nicht unmittelbar nahe stehendes Wort,
wie eben dieses ,Effekt' an. Wollen wir daher genauer Das bezeichnen, was
wir unter diesem Worte verstehen, so dürfen wir ,Effekt' übersetzen durch
,Wirkung ohne Ursache'." (Wagner 1871-1873, 3, 371 = Wagner 1907, 3,
301) N. behauptet nun, auch Wagners „Wirkung" selbst sei ohne Ursache und
reiner Selbstzweck.
Zu Schiller vgl. NK 18, 22 f. Vorüberlegungen zu 31, 5-9 finden sich auch
in NL 1888, KSA 13, 15[6]4, 405, 33-406, 4: „Wagner ist unbedenklich, wie
Schiller unbedenklich war, wie alle Theatermenschen unbedenklich sind:
unter Umständen braucht er den Glauben des Zuhörers, eben eine solche
andere Musik zu hören — er macht sie." In NL 1888, KSA 13, 16[36], 495, 24-
26 notiert N.: „das Schillersche an Wagner: er bringt ,leidenschaftliche Bered-
samkeit, Pracht der Worte, als Schwung edler Gesinnungen' — Legirung mit
geringerem Metall". Das von N. Angeführte ist ein Zitat aus Hehns Gedanken
über Goethe: „Wie wir schon wiederholt angedeutet haben, bestand sein [sc.
Schillers] nicht geringstes Verdienst darin, daß er Goethes humane Idealwelt
den Menschen näher brachte, in der Form, in der sie ihnen allein zugänglich
werden konnte, d. h. versetzt mit leidenschaftlicher Beredsamkeit, der Pracht
weitgreifender Worte, dem Schwung edler Gesinnungen. Das reine Gold ließ
sich nicht ausprägen: es bedurfte der Legirung mit einem geringeren Metall."
(Hehn 1888, 109).
einzelne Elemente, das Fehlen einer synthetisierenden Kraft, damit decadence
in Reinkultur.
31, 5-9 er will Nichts als die Wirkung. Und er kennt das, worauf er zu wirken
hat! — Er hat darin die Unbedenklichkeit, die Schiller hatte, die jeder Theater-
mensch hat, er hat auch dessen Verachtung der Welt, die er sich zu Füssen legt!...]
Die Polemik gegen die reine Wirkungsorientierung wandelt einen Vorwurf ab,
den Wagner selbst in Oper und Drama gegen Giacomo Meyerbeer erhoben
hatte: Dort hatte er zwischen Effekt und Wirkung unterschieden und nur letz-
tere gutgeheißen: „Das Geheimniß der Meyerbeer'schen Opernmusik ist — der
Effekt. Wollen wir uns erklären, was wir unter diesem ,Effekte' zu verstehen
haben, so ist es wichtig, zu beachten, daß wir uns gemeinhin des näherliegen-
den Wortes ,Wirkung' hierbei nicht bedienen. Unser natürliches Gefühl stellt
sich den Begriff ,Wirkung' immer nur im Zusammenhänge mit der vorherge-
henden Ursache vor: wo wir nun, wie im vorliegenden Falle, unwillkürlich
zweifelhaft darüber sind, ob ein solcher Zusammenhang bestehe, oder wenn
wir sogar darüber belehrt sind, daß ein solcher Zusammenhang gar nicht vor-
handen sei, so sehen wir in der Verlegenheit uns nach einem Worte um, das
den Eindruck, den wir z. B. von Meyerbeer'schen Musikstücken erhalten zu
haben vermeinen, doch irgendwie bezeichne, und so wenden wir ein ausländi-
sches, unserem natürlichen Gefühle nicht unmittelbar nahe stehendes Wort,
wie eben dieses ,Effekt' an. Wollen wir daher genauer Das bezeichnen, was
wir unter diesem Worte verstehen, so dürfen wir ,Effekt' übersetzen durch
,Wirkung ohne Ursache'." (Wagner 1871-1873, 3, 371 = Wagner 1907, 3,
301) N. behauptet nun, auch Wagners „Wirkung" selbst sei ohne Ursache und
reiner Selbstzweck.
Zu Schiller vgl. NK 18, 22 f. Vorüberlegungen zu 31, 5-9 finden sich auch
in NL 1888, KSA 13, 15[6]4, 405, 33-406, 4: „Wagner ist unbedenklich, wie
Schiller unbedenklich war, wie alle Theatermenschen unbedenklich sind:
unter Umständen braucht er den Glauben des Zuhörers, eben eine solche
andere Musik zu hören — er macht sie." In NL 1888, KSA 13, 16[36], 495, 24-
26 notiert N.: „das Schillersche an Wagner: er bringt ,leidenschaftliche Bered-
samkeit, Pracht der Worte, als Schwung edler Gesinnungen' — Legirung mit
geringerem Metall". Das von N. Angeführte ist ein Zitat aus Hehns Gedanken
über Goethe: „Wie wir schon wiederholt angedeutet haben, bestand sein [sc.
Schillers] nicht geringstes Verdienst darin, daß er Goethes humane Idealwelt
den Menschen näher brachte, in der Form, in der sie ihnen allein zugänglich
werden konnte, d. h. versetzt mit leidenschaftlicher Beredsamkeit, der Pracht
weitgreifender Worte, dem Schwung edler Gesinnungen. Das reine Gold ließ
sich nicht ausprägen: es bedurfte der Legirung mit einem geringeren Metall."
(Hehn 1888, 109).