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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0149
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130 Der Fall Wagner

fühlen! Das ist seine größte ,Selbstlosigkeit', wie er bewundert und anbetet
und nicht weiß und wissen will, daß er schuf, was er bewundert." In NL
1887/88, KSA 13, 11[87], 41 (KGW IX 7, W II 3, 160, 14-26) nimmt N. diese Notiz
wortwörtlich wieder auf und integriert sie in NL 1888, KSA 13, 12[1](341), 210
(KGW IX 7, W II 4, 72, 14) in seine Werkpläne zum „Willen zur Macht".
31, 24-30 Niemand kommt ihnen darin gleich, mit bescheidenem Aufwand eine
fürstliche Tafel zu repräsentiren. — Der Wagnerianer, mit seinem gläubigen
Magen, wird sogar satt bei der Kost, die ihm sein Meister vorzaubert. Wir Ande-
ren, die wir in Büchern wie in Musik vor Allem Substanz verlangen und denen
mit bloss „repräsentirten" Tafeln kaum gedient ist, sind viel schlimmer dran.] N.
spielt mit der Ambiguität der „repräsentierten Tafeln": Einerseits verweist die
ins Kulinarische eingepasste Metaphorik auf den philosophischen Sprachge-
brauch von Repräsentieren als Vorstellen: Wagners gedeckte Tische sind bloß
vorgestellt, nicht real. Andererseits bezieht sich das Repräsentieren auch auf
den stilo rappresentativo, den „repräsentativen Stil" des Rezitativs in der italie-
nischen Oper des 17. Jahrhunderts. Diesen Stil hatte N. schon in GT 19, KSA 1,
120, 17-21 gegeißelt: „Ich erinnere zunächst an die Entstehung des stilo rappre-
sentativo und des Recitativs. Ist es glaublich, dass diese gänzlich veräusser-
lichte, der Andacht unfähige Musik der Oper von einer Zeit mit schwärmeri-
scher Gunst, gleichsam als die Wiedergeburt aller wahren Musik, empfangen
und gehegt werden konnte"?
31, 30 f. Wagner giebt uns nicht genug zu beissen.] In GD Streifzüge eines
Unzeitgemässen, KSA 6, 120, 7 erinnert N. an ein Wort Carlyles, wonach Emer-
son nicht genug zu beißen gebe. Die Quelle hierfür ist Froude 1887, 2, 175, siehe
NK KSA 6, 120, 6-8. N. greift das Urteil hier auf und spinnt um Wagner ein
kulinarisch-musikalisches Metaphern-Gewebe.
31, 31-32, 1 Sein recitativo — wenig Fleisch, schon mehr Knochen und sehr viel
Brühe — ist von mir „alla genovese" getauft: womit ich durchaus den Genuesen
nicht geschmeichelt haben will, wohl aber dem älteren recitativo, dem recita-
tivo secco.] In W II 7, 83 (KSA 14, 407) heißt es stattdessen: „Das Wagnerische
recitativo, bald troppo secco, bald troppo bagnato (,zu wäßrig' ,zu wasser-
dampfig')". „Alla genovese", auf Genueser Art ein Gericht zuzubereiten,
scheint nicht mehr so ganz N.s Geschmack zu entsprechen; in EH Warum ich
so klug bin 1, KSA 6, 280, 11 f. gibt er jedenfalls dem benachbarten Piemont
kulinarisch den Vorzug. Enthusiastischer klang es hingegen auf einer Postkarte
an Franziska und Elisabeth Nietzsche am 06. 04. 1881: „Die Genueser Küche
ist für mich gemacht. Werdet Ihr's mir glauben, daß ich jetzt 5 Monate fast alle
Tage Kaldaunen gegessen habe?" (KSB 6, Nr. 99, S. 80, Z. 12-14).
 
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